Ich habe keine Angst vorm Tod. Eher noch vorm Sterben. Wie wohl jeder wünsche ich mir, dass es schnell geht. Am besten mal in Ruhe einschlafen. Oder bei einem Unfall zackbumm.
Wenn ich sterbe, bin ich tot.
Für mich gibts keine Wiedergeburt, keinen Himmel und keine weiterlebende Energie, die rumschwirrt. Ich fände es reizvoll, als Geist oder Zombie wiederzukehren, aber seien wir mal realistisch.
Asche zu Asche. Staub zu Staub.
Kurioserweise bin ich trotz dieser Überzeugung völlig irrational, was meine Leiche angeht.
Organ- vs. Körperspende
Meine Mutter findet den Gedanken an Organspende schrecklich. Darum habe ich schon vor einigen Jahren damit angefangen, meiner Familie gegenüber immer wieder mal zu betonen, dass ich ausgeschlachtet werden will. Ich glaube, ich habe sogar dieses drastische Wort benutzt, damit mein Wunsch eindeutig ankommt.
Klingt makaber? Mag sein, doch ich weiß: Wenn es wirklich dazu kommen sollte, dass meine Eltern oder mein Bruder diese Entscheidung treffen müssen, dann sind sie in einer stressigen Extremsituation. Und da möchte ich nicht, dass sie groß überlegen oder hadern. Sie sollen eindeutig wissen, was ich gerne möchte. Denn dann ist so eine Entscheidung kein Konflikt mehr, sondern gibt die Sicherheit, ohne zu zögern mit einem klaren „Ja, und zwar alles“ zu antworten. Mit dem wichtigen Gefühl, etwas für mich zu tun.
Da verhalte ich mich einerseits also ganz praktisch und drastisch: „Nehmt alles von mir, was man brauchen kann. Rettet meine Ersatzteile für andere, die sie brauchen.“
- Keine Romantik, von wegen „nicht das Herz“,
- kein Grusel bei „klar, auch die Augen und die Haut“.
Warum würde ich aber niemals eine Körperspende machen? Mich am Stück für Lehre und Forschung nutzen lassen? Rettet doch genauso Leben, nur anders. So gesehen sogar nachhaltiger.
Ich glaube, es hat mit Scham zu tun. Der Gedanke, dass kalt und starr unbekleidet auf irgendwelchen Tischen liege. Von Studenten angeschaut und aufgeschlitzt werde, womöglich stückweise nach und nach Zeug rausgeschnitten wird, und dann wieder für eine Weile in den Kühlschrank bis die nächsten kommen, ist mir nicht angenehm.
Auch Plastination finde ich völlig entsetzlich. Ein Ausstellungsstück, womöglich noch albern hindrapiert und ohne Haut, so dass man die Muskeln sieht. Vielleicht am Schreibtisch sitzend und tippend. So sieht eine Autorin im Querschnitt aus. Und dann pilgern Leute vorbei, die Eintritt bezahlt haben, lachen oder gruseln sich und machen Selfies mit mir.
Verwesen vs. verbrennen
Kürzlich habe ich mit meiner Freundin über Gräber gesprochen. Sie ist der festen Meinung, das Angehörige ein Grab brauchen, zu dem sie gehen können, um das sie sich kümmern. Einen festen Platz, wo sie einen besuchen können.
Mir geht es so nicht: Ich habe nicht das Gefühl, dass ich zu einem Grab hingehen möchte. Ich trage Menschen und ihre Erinnerung im Herzen, kann Gedanken und Zwiesprache in mir halten.
Friedhöfe sind mir nicht sonderlich angenehm. Es gibt ja Menschen, die die Atmosphäre dort schön finden. Letzte Ruhestätte. Ich kenne viele, die gerne mal so über den Friedhof spazieren.
Wenn ich über einen Friedhof gehe, ist es mir immer irgendwie unheimlich. Zum einen, weil ich immer als erstes an Zombies denke. – Da kann ich nichts dafür, ich habe einen älteren Bruder und bin mit Gruselgeschichten, Totenköpfen und Horrorfilmen aufgewachsen. Zum anderen finde ich Friedhöfe eher beklemmend. Reihe an Reihe. Namen auf Namen. Überall ganz frische Gräber.
Der Gedanke, auf dem Friedhof zu liegen, ist mir nicht angenehm. Obwohl ich denke, dass ich tot bin und dann natürlich eh nichts mehr mitbekomme, widerstrebt mir der Gedanke, in einem Sarg in ein Loch gelassen und unter mehreren Metern kalter Erde begraben zu werden. Und dann liege ich da, Insekten und Würmer entstehen. Ich zerfalle und werde zerfressen.
Bääääh! Ehrlich: Es ist mir wurscht, dass ich das nicht mehr mitbekomme. Ich will das nicht!
Der Gedanke, verbrannt zu werden, ist jetzt auch nicht der Bringer. Aber da gruselt mich nur die Vorstellung kurz davor. Denn das ist so heiß, dass sofort alles erledigt ist. Was ich gerne hätte, was leider bei uns, glaube ich, nicht erlaubt ist: Verstreut werden.
Dabei habe ich gar keinen Lieblingsplatz, wo ich gern „sein möchte“. Auch bin ich nicht spirituell, von wegen „eins werden mit der Natur“. Ich finde es einfach schön, die paar Handvoll „Ich“ vom Wind verwehen zu lassen.
Now you see me, now you don’t.
Urne vs. Diamanten
Jetzt könnte man denken, es ist Schluss mit der Irrationalität. Geht aber noch weiter.
Wenn man mich nicht verstreuen darf, komme ich in eine Urne. Urnen finde ich entsetzlich! Ich weiß noch das erste Urnenbegräbnis, bei dem ich dabei war. Der Vater eines Freundes ist gestorben. Wir sitzen in der Kirche ganz vorne. Alles ist ohnehin schon so traurig und mein Blick schweift über die vielen Blumen, wo der Verstorbene liegt. Erst kapiere ich gar nicht, dass unter dem Blumenmeer gar kein Sarg ist – bis ich das kleine Gefäß inmitten der Blumen sehe.
Dieser große Mann in diesem kleinen Behältnis.
Schrecklich!
Da stehe ich also, will verbrannt werden, aber der Gedanke an das bisschen Asche in einer kleinen Urne ist auch wieder nichts. Verstreuen in alle Richtungen schon.
Dann gibts da noch die Firma, die aus ein wenig Asche von Verstorbenen Diamanten macht. Schmuckstücke für Ringe oder zum Umhängen. Das finde ich total schön: Jemanden so bei sich zu haben. Warum ist das nicht gruslig für mich? Weil es wieder nur ein Teil ist?
Ich erkenne ein Muster: Offenbar möchte ich gerne komplett verschwinden. Mich auflösen.
Asche zu Asche. Staub zu Staub.
Der größte Trost …
Vor vielen Jahren stand ich mal in der Post am Paketschalter.
Der Mann vor mir stapelt lauter kleine quaderförmige Packerl auf den Tresen. Während ich so warte, fällt mein Blick auf den Absender: Krematorium.
Mich trifft der Schlag.
Der Mann stapelt weiter.
Ich kann mich nicht zurückhalten und frage nervös: „Ist da drin, was ich denke, was da drin ist?“
Der Mann, fröhlich: „Ja!“
Es ist mir ganz merkwürdig zumute. Ich bin im Leben nie drauf gekommen, dass man Verstorbene verschickt. In minikleinen Päckchen, einfach nur die Asche drin. Briefmarke drauf. Ab die Post!
Der Postmensch nimmt mich zwischendrin schnell dran und als ich mich umdrehe, schubse ich mit meinem Arm zwei, drei der Schachteln auf den Boden.
Mir bleibt das Herz stehen. Ich stammle.
Der Mann bückt sich und strahlt mich an: „Macht doch nix. Die merkens ja nimmer!“
Liebe Gitte, wir freuen uns über deinen zweiten Beitrag.
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Liebe Gitte,
danke dir sehr! Ich nehme mal an, dass deine Gedanken keine Einzelgänger sind. Oder?!!!! Den LeserInnen kann ich eigentlich nur zurufen: zeigt diesen Beitrag euren Leuten und dann fangt an darüber zu reden, was ihr euch so vorstellen oder nicht vorstellen könnt!
Ich persönlich gehe inzwischen weitgehend mit Fritz Roth (Trauer ist Liebe), der empfahl, die Entscheidungen über den toten Körper, die letzte Ruhestätte und die Feier den Angehörigen zu überlassen, denn die müssen sich so verabschieden können, wie sie es brauchen. Ich selbst habe grob aufgeschrieben, was ich mir vorstellen könnte, aber betont, dass meine Angehörigen es so handhaben sollen, wie sie es brauchen.
Die Plastination haben wir hier noch nicht thematisiert. Ich glaube auch nicht, dass ich das je tun werde. Für mich ist das ein Kuriositäten-Kabinett, das unter dem Deckmantel der „Wissensvermittlung“ einen Haufen Geld erwirtschaften will.
Lieber mag ich mich der Organspende als Thema zuwenden, habe inzwischen einen neuen Aspekt gelernt, der mir wichtig ist, nämlich dass die Organentnahme unter Vollnarkose erfolgt. Man kann das im Organspendeausweis so bestimmen. Ich stelle dazu hier schon einen Link zu dem Organspendeausweis der Evang. Frauen in Deutschland ein. Demnächst mehr dazu.
Klicke, um auf Leporello_WEBfassung.pdf zuzugreifen
Gitte, vielen Dank für deine beiden Beiträge, die uns so wunderbar kontrovers diskutieren lassen – so wie Petra und ich uns das wünschen: dass wir/ ihr übers Sterben reden. Ganz normal irrational. 😉
Liebe Grüße
Annegret
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