28.3. Dr. Friederike Erichsen-Wendt: eine poetische Predigt

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Zitternd furchtlos. Zu Ostern 2016 gepredigt. Aus dem Hohenlied der Liebe (3, 1-5).

Des Nachts auf meinem Lager suchte ich, den meine Seele liebt. Ich suchte; aber ich fand ihn nicht.

Ich will aufstehen und in der Stadt umhergehen auf den Gassen und Straßen und suchen, den meine Seele liebt. Ich suchte; aber ich fand ihn nicht.

Es fanden mich die Wächter, die in der Stadt umhergehen: »Habt ihr nicht gesehen, den meine Seele liebt?«

Als ich ein wenig an ihnen vorüber war, da fand ich, den meine Seele liebt. Ich hielt ihn und ließ ihn nicht los, bis ich ihn brachte in meiner Mutter Haus, in die Kammer derer, die mich geboren hat. –

Ich beschwöre euch, ihr Töchter Jerusalems, bei den Gazellen oder bei den Hinden auf dem Felde, dass ihr die Liebe nicht aufweckt und nicht stört, bis es ihr selbst gefällt.

Eine Frau geht zum Grab.
Frühmorgens.
Wenn noch niemandes Hand
Den Tau von der Klinke des Friedhofstores vertrieben hat.
Wenn Schritte noch Spuren hinterlassen.
Eine Frau geht zum Grab.
Maria heißt sie in der Bibel.

Maria heißt sie bei uns. Oder Anna oder Elise oder Henriette.
Sie will ihm nahe sein und ist doch draußen.
Da unten, da drinnen und doch: woanders, vielleicht droben, aber gewiss bei Gott.
Da bist Du.
Oder: Wo bist Du?

Ich suche, den meine Seele liebt.
Weinend, tränenverschleiert.
Hoffnungen sind dahin, gemeinsame Pläne. Vorbei.
Etwas Wichtiges ist vorbei.
Ich suchte, aber ich fand ihn nicht.
Wo seid Ihr, unsere Toten?
Wir sagen: Bei Gott.
Aber: Wo kann ich Dich finden?
Menschen suchen. Menschen irren umher.
Wie manch Kind mit großem Ernst an Ostern sucht.
Und irrlichternd. Wie die ersten Sonnenstrahlen, die der Nacht das Dunkel abtrotzen.

Ich will aufstehen und in der Stadt umhergehen auf den Gassen und Straßen und suchen, den meine Seele liebt.

Mitten im Stadtbild sind sie,
die ziellos umherirren,
den Tag hinbringen,
oder auch die Nacht,
die nicht finden, was sie suchen,
getrieben von Sehnsucht,
manche auch verfolgt,
von Bildern, von Ängsten,
um Leib, um Leben, um die Freiheit der eigenen Gedanken oder die Freiheit des eigenen Glaubens.
Suchen und nicht finden.
Und kann irre machen,
oder entschlossen und furchtlos.

Es fanden mich die Wächter.
Die, die im Dunkel wachen.
Im Dunkel einen klaren Verstand behalten.
Schutz im Dunkel.
Sie schaut ins Grab und sieht zwei Engel in weißen Gewändern sitzen.
Maria in der Bibel.

Und Maria bei uns. Oder Anna oder Elise oder Henriette.
Im Dunkel, am Grab – plötzlich taucht jemand auf, der Deinen Blick anders lenkt.
Wächter. Engel.
Eine Frau steht Wächtern gegenüber.
Eine Frau steht Engeln gegenüber.
Zitternd, aber furchtlos.
Sehnsucht  macht fähig, Schritte zu gehen, die Du tags nie wagen würdest, Maria.
Habt ihr nicht gesehen, den meine Seele liebt?
Frau, was weinst Du?
Sie haben meinen Herrn weggenommen.
Es mag sein, ein anderer sieht, wenn meine Augen tränenverhangen sind.
Hast Du nicht gesehen?

Leih mir Deine Augen, der Du keine Angst hast in der Nacht.
Leih mir Deine Ohren, die Du die Stille nicht fürchtest.
Leih mir Deinen Mund, wenn ich verstumme.
Wächter und Engel begleiten die Suchenden.
Als ich ein wenig an ihnen vorüber war, da fand ich, den meine Seele liebt.
Sie wandte sich um und sieht Jesus stehen und weiß nicht, dass es Jesus ist.

Halte sie nicht fest, die Wächter und Engel Deines Lebens. Geh vorüber. Wende Dich um. Sie haben getan, wozu sie bestimmt sind.

Geh weiter, der Du am Grab stehst, und finde.
Wende Dich um, schau woanders hin, und höre die Stimme: Wen suchst du?.
Ihn.
Den, den meine Seele liebt.
Den Nächsten.
Den Liebsten.
Den Schönsten.

Nichts Weniger als ihn.
Deshalb Suchen und nicht finden.

Nachts und frühmorgens, bevor der Tau die Welt freigegeben hat, bevor die Welt spurlos begehbar ist.

Spricht er zu ihr: Maria.
So stehts in der Bibel.
Spricht er zu ihr: Maria.
So stehts in der Erfahrung von Menschen: Gott spricht mich an.

So stehts in der Erinnerung unserer Kirche: Ich habe dich bei Deinem Namen gerufen, du bist mein. Sagen wir bei der Taufe mit prophetischem Wort.

Den Du suchst, ruft Dich mit Namen an.
Daran erkennt ihn.
Daran erkennt Gott.
Ich hielt ihn und ließ ihn nicht los.
Suchen hat ein Ende.
Irrlichtern zwischen Wirklichkeit und Träumen hat ein Ende.

Lieben ist:
Einen Ort haben.
Verstanden sein.
So-Sein.

Ich hielt ihn und ließ ihn nicht los – bis ich ihn brachte in meiner Mutter Haus,
in die Kammer derer, die mich geboren hat.

Lieben ist:
In eine Geschichte eingeordnet zu sein.
Mit allem, was so besonders und einzigartig anmutet.
Durch die Generationen weitergetragen zu sein.

Und dann sagt da einer: Rühre mich nicht an. Denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater. Geh aber hin zu meinen Brüdern und sage ihnen: Ihre fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott.

Liebe braucht Schutzraum. Rückzug. Dass keiner stört. Die antike Liebeslyrik hat dafür das Wort an die Palastdienerinnen:

Ich beschwöre euch, ihr Töchter Jerusalems, bei den Gazellen oder bei den Hinden auf dem Felde, dass ihr die Liebe nicht aufweckt und nicht stört, bis es ihr selbst gefällt.

Sie schläft.
Sie macht keine Worte, interveniert nicht. Sie sucht nicht das Ihre, rechnet das Böse nicht zu.
Sie ist langmütig und freundlich.
Stört das nicht.
Bis es ihr selbst gefällt.
Die Liebe ruft sich selbst heraus.

Und macht Worte, und mischt sich ein. Bringt sich ins Gespräch. Und das Böse. Macht das Wahre und Gute zum Thema. Lasst Euch davon stören. Und aufrütteln.

Das Wahre gedeiht aus dem Schutzraum der Liebe.

Maria geht und verkündigt den Jüngern: Ich habe den Herrn gesehen, und das hat er zu mir gesagt.

Und Anna und Elise und Henriette.

Wir stehen an Gräbern.
Wir suchen und irrlichtern, und manchmal finden wir.
Wächter der wertvollen Dinge.
Engel, die helfen, den Blick anders zu richten.
Menschen, die etwas an meiner Seele lieben. Oder diese selbst.
Es weist auf Gott.

Weil etwas an diesem Gott ähnlich ist:
Auf Wertvolles wachen.
Anders auf sich und die Welt zu schauen.

Die Seele zu lieben und den, der sie trägt.

Gott tut dies.

Immer.

Über das, was wir leben und denken und tun und hoffen hinaus. Davor und danach. Tiefer drin und jenseitiger darüber hinaus.

Gott tut dies.

Gott tut dies und irrlichtert dazu nächtens durch die Straßen und tagsüber durch die Büros und Häuser und Kindergärten und Schulen und Arbeitszimmer.

Gott sucht, die seine Seele lieben.
An offenen Gräbern,
auf Wegen, die Spuren hinterlassen,
an Tischen, an denen wir Brot und Wein und Meinungen teilen,
in irrlichternden Nächten und übermorgen, wenn der Tag sich gibt wie jeder andere.
Sucht und hält und lässt nicht mehr los.

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Diese poetische Predigt von Friederike Erichsen-Wendt und noch mehr Gehaltvolles ist in ihrem Blog zwischengerufen zu finden und zu lesen. Liebe Friederike, danke fürs Mitmachen! Deine Predigt rührt mich an.

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in 1. November-Blog-Aktion: Geheime Fragen und verschlagwortet mit , , von Petra Schuseil. Permanentlink.

Über Petra Schuseil

Als "alte" Frankfurterin pendel ich seit Anfang 2012 zwischen Frankfurt und dem Zürichsee hin und her. 64 bin ich jetzt und offiziell Rentnerin. Ich schreibe regelmäßig Morgenseiten, singe im Kirchenchor, und schwimme im Sommer täglich im Zürichsee. 2013 kam mein Buch "Finde Dein Lebenstempo" auf den Markt. "Wesentlich werden" so heißt ein anderer Blog von mir. Seit Ende 2014 gibt es unseren Totenhemd-Blog. Inzwischen sind wir ein Team: Juliane, Sigrid und Lutz schreiben mit. Wenn nicht jetzt, wann dann ist mein Lebensmotto.

3 Gedanken zu „28.3. Dr. Friederike Erichsen-Wendt: eine poetische Predigt

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