
Rüdiger Rodewald
Tag Heiner, sag ich. Ich bin gekommen um mich vorzustellen. Ab nächsten ersten bin ich euer neuer Chef. Tag Rudi, sagt er. Hat sich schon bis zu mir rumgesprochen. Er lacht. Ein leises Lachen, nie laut und expulsiv, immer leise, fast wie ein Lächeln in dem etwas Zögerndes mitschwingt. Eigentlich wärst du mal dran gewesen, oder?, sage ich. Es tut mir leid für dich dass ich das nun geworden bin. Hätte schlimmer kommen können, sagt er und lacht wieder dieses leise fast stolpernde Lachen. Mich befördern sie nicht mehr. Aber komm, ich stell dir mal die Leute vor.
Das Büro umfasst zwei Großräume. In jedem sitzen so acht bis zehn Personen. Es ist saukalt auf der einen Seite, auf der der Wind steht und fast tropisch warm im Büro mit der Südausrichtung.
Er führt mich herum und stellt mir alle vor. Zu jedem hat er ein paar Sätze gesagt was er oder sie macht und zu jedem hat er eine freundliche kleine Anekdote parat. Später sitzen wir zu zweit in dem Raum der dann mein Büro werden soll. Wie geht es dir damit, Heiner, frage ich, dass du das wieder nicht geworden bist? Das ist nicht mehr so wichtig, sagt er. Meine Frau ist krank. Biggi. Manchmal kriegt sie keine Luft mehr und ihr Herz schlägt unregelmäßig. Mensch Biggi, sagt er und es steigen ihm Tränen in die Augen. Wir wollten doch nach Bolivien im Sommer, unsere alten Freunde besuchen.
Und dann erzählt er. Wie er mit zweiundzwanzig Jahren in Bremen seine Lehre als Schifffahrtskaufmann zu Ende gemacht hatte und immer gedacht hat, draußen in der weiten Welt wartet das Abenteuer und ich sitz hier in diesem Büro. Dann stand das Abenteuer plötzlich eines Abends auf der Schwelle. Wir suchen Mitarbeiter für die Agentur in Bolivien, sagt sein Chef. Haben Sie Lust? Klar hatte er Lust – und was für welche. Neun Jahre sind daraus geworden. Neun Jahre voller Abenteuer. Neun Jahre voll gepackt mit Leben. Und irgendwann hat er Biggi kennen gelernt. Biggi mit den dunklen Haaren und dem Lächeln, das ihm zeit Lebens nicht mehr aus dem Sinn ging. Zwei Kinder haben sie bekommen, Oliver und Vanessa. Tolle Kinder und das Leben war Lachen in dem kleinen Haus über der Stadt. Lachen mit den Campesinos und lachend sich im Tanz wiegen zur Musik von Planflöte und Gitarre, zur Musik von Inti Illimani.
Als die Kinder größer wurden haben sie lange beraten, Abende lang. Dann stand der Entschluss fest. Die Kinder sollen in Deutschland zur Schule gehen. Seine Firma bot ihm einen Job in München an und das Leben war Arbeit und nur noch Arbeit. Und nun, fast zwanzig Jahre später sitzt ihm dieser kleine Mann gegenüber und sagt ich bin dein neuer Chef. Der Job den er doch eigentlich machen wollte. Ich bin loyal, Rudi, sagt er und guckt mir in die Augen. Die Augen füllen sich mit Tränen. Ich hab Angst um Biggi, sagt er dann.
Einen Monat später trete ich den neuen Job an. Heiner fehlt. Wo ist Heiner, frage ich. Seine Frau ist gestorben, sagt jemand, Heiner kommt nicht.
Jetzt, fünfzehn Jahre später stehe ich an seinem Grab. Er ist nie mehr mit Biggi nach La Paz gereist. Das Leben ist manchmal so. Hände greifen in den Korb mit Erde. Erde fliegt durch die Luft.
Es war eine gute Idee eine schwarze Krawatte zu kaufen, geht es mir durch den Kopf. Ich werde sie wohl noch öfter brauchen. Vielleicht auch für mich selbst. Tschüss Heiner, sage ich, Saludos Amigo!
*****
Rüdiger und ich waren letztes Jahr auf der Schreibreise in Zypern. Dort haben wir uns kennengelernt. Durch seinen Text hindurch hört man ein wenig den norddeutschen Ton, den ich sehr mag.
Wir werden uns übrigens wiedersehen im Oktober auf Zypern zur zweiten kreativen Schreibreise. Lust und Interesse dabei zu sein? Hier gibt es Infos.
Hier entlang zu Rüdigers erstem Gastartikel.
Pingback: 4.11. Rüdiger … ein poetischer Nachruf | Totenhemd-Blog
Oh… Der Text geht mir richtig unter die Haut. Danke, lieber Rüdiger und danke liebe Totenhemdlerinnen!
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