Wie wertvoll ist uns, was ihr/ihm wertvoll war?

AA283C88-0AA0-463D-A0B0-60E450D66AE7.jpegDie gestrige Vernissage im Friedhof Forum Zürich (ich schrieb hierzu im Artikel: Die letzten Dinge) zeigt Dinge aus Nachlässen von Zürcher Bürgern. Weiter unten im Artikel kannst Du eine Geschichte aus der annabelle online lesen; sehr lesenswert!

Was sich in meine Erinnerung bohrte war ein Fingerhut in Form eines Vogelkopfes, vor allem der Schnabel war eindrücklich – der kleine Vogelkopf-Fingerhut in schillerndem blau-grün angemalt.

Ich sah altes Geschirr mit goldenem Rand, ein zartes Taufkleid …

Man kann 7 Interviews anhören … deshalb werde ich noch einmal hingehen um sie mir anzuhören.

Der junge und sehr bekannte Schlagzeuger Julian Sartorius gab alten ausgedienten Haushaltssachen wieder einen Sinn und Wert, indem er darauf musizierte: er hämmerte und klopfte, streichelte und trommelte, mal zart, mal laut, mal schnell und mal langsam. Das war sehr eindrücklich, wie Sachen die man nicht mehr braucht und ausrangiert  einen neuen Sinn bekommen. Wunderbar.

Hier kann man bei Sartorius einen Hör-Eindruck bekommen.

Während eines halbstündigen Gesprächs erzählten uns drei Teilnehmerinnen und ein Teilnehmer über ihre Erfahrungen mit Nachlässen. Der eine ganz frisch durch den Tod seines Vaters damit konfrontiert, bei der anderen lag die Wohnungsauflösung schon über 15 Jahre her, eine Dame, die ein Pflegehaus geleitet hat und eine Künstlerin.

Gesprächssplitter:

Die Badehose des toten Vaters tragen?

Sachen machen will ich bis zum Schluss.

Das Hinterbliebene.

Es geht nicht nur um das Räumen! Es geht auch um die Zeit, die man hat.
Zeit haben um zu sortieren, zu räumen … manchmal hat man zu wenig Zeit.

Leichtes Gepäck im Pflegezimmer. Wer räumt hier? Alles muss gelistet werden, falls kein Angehöriger zum Räumen kommt.

Man kommt einem toten Menschen näher durch die hinterlassenen Fotos.
Lernt ihn plötzlich von einer anderen Seite kennen, die man nicht kannte.
Warum erzählt man sich das Leben nicht vor dem Tod anstatt erst an der Trauerfeier?
Es hat den Anschein man lernt jemanden erst nach dem Tod richtig kennen.

Überraschungen tauchen auf: Liebesbriefe, Briefe, die Zeitschrift Playboy, Tagebücher, Ordner mit gesammelten Zeitungsausschnitten.

Man hebt Sachen auf, die eine Geschichte haben, eine Geschichte erzählen.

Unser persönliches Warenlager. Wir haben HEUTE eine Vielzahl an Dingen; es wird immer mehr: Wie bewältige ich meine Materialmenge?

Viele alte Menschen haben viele Zimmer, eine große Wohnung. Was passt für die letzte Lebensphase? Wieviel Raum braucht man? Wann schaffe  „ich den Absprung“?, verkleinere mich und gewöhne mich an ein neues Quartier, eine neue Lebensumgebung?

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Einen Ausschnitt aus dem nachfolgenden Artikel aus der annabelle habe ich im Ausstellungsraum gefunden. Hier der schöne Text.

Ich fand die Vernissage sehr gelungen vor allem durch die interessante Talkrunde und die intensive Musik des Schlagzeugers Julian Sartorius. Meine Coachee, die heute ihren Coachingtag bei mir verbrachte, hatte mich begleitet und bekam einen interessanten Start in Zürich mit einem wesentlichen Thema, das uns alle betrifft.

7 Gedanken zu „Wie wertvoll ist uns, was ihr/ihm wertvoll war?

  1. Pingback: Einfach so ein Leben wegwerfen | Totenhemd-Blog

    • Danke, liebe Nicole. War heute wieder dort um mir die Audio-Interviews anzuhören. Wirklich sehr eindrücklich und berührend … eine sagte zum Schluss: „einfach so ein Leben wegwerfen“. In kürzester Zeit sind oft die Sachen eines Verstorbenen „entsorgt“. Einfach weg.

      Oder eine Frau erzählte, wie es drei Jahre dauerte bis das Zimmer ihres verstorbenen Sohnes, der 20-jährig gestorben ist, leer geräumt wurde. Ein paar lustige Hauspuschen und T-Shirts wurden aufgehoben.

      Ich blogge ggfs. ergänzend über meine Gedanken zu den Männern, die innert 4 Tagen die Wohnung meiner Mutter leer räumten … ich habe mich so manches gefragt zu ihrer Tätigkeit aufgrund von Aussagen eines Geschäftsführers der eben auch Wohnungen und Häuser leer räumt und „entsorgt“. Wie er mit Würde und Bedachtsamkeit an seine Arbeit geht.

      Ein bisschen nachdenklich grüße ich in den Abend.
      Herzlich. Petra

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      • „Einfach so ein Leben wegwerfen“, ja liebe Petra, genauso hat es sich damals angefühlt, als ich mal eben die Sachen meiner Mutter entsorgen musste. Die Wohnung musste geräumt werden – wer kann sich schon Pflegeheim UND eine Wohnung leisten – und ich konnte und wollte nicht all den „Kram“ bei mir unterbringen.

        Zu der Zeit war ich ein wenig wie in Trance und heute… nachdenklich…
        Herzlich, Nicole

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      • Liebe Nicole, deine Nachdenklichkeit verstehe ich. Dennoch war deine Entscheidung eine gute und der Finanzlage realistisch. War ja bei uns auch so, dass wir eine Mietwohnung gekündigt haben und drei Monate Zeit hatten … das ist eben auch eine Variante eine Wohnung innerhalb einer Kündigungszeit aufzulösen … der verstorbene oder kranke und pflegebedürftige Mensch ist ja dennoch „präsent“ und deine Mutter weiß es sicher zu schätzen. Du hast es gut gemacht. Wenn man ein Haus zu räumen hat dann steckt da eine andere Zeitdimension dahinter.
        Der Nachmieter von Mutters Wohnung freute sich, denn er stand schon länger auf der Warteliste für eine Bleibe in diesem Haus.

        Frohe Grüße. Petra

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  2. „Was passt für die letzte Lebensphase?“
    – ganz verschieden, denke ich. Je nachdem, welche Möglichkeiten eine hat oder eben noch hat.
    (wenn sie nicht mehr lesen kann, kann sie auf Bücher vermutlich gut verzichten!? Könnte z.B. aber auch sein, dass sie sich heimisch und wohl fühlt mit einer Bücherwand im Raum? u.s.w.)

    „Wieviel Raum braucht man?“
    Manche brauchen immer ein bisschen mehr Raum als sie eigentlich brauchen! Und manche fühlen sich am besten, wenn es klein und übersichtlich um sie rum ist! Und dann gibt es noch soooo viiiieel ‚Dazwischen‘ …

    „Wann schaffe „ich den Absprung“?, verkleinere mich und gewöhne mich an ein neues Quartier, eine neue Lebensumgebung?“
    Manchmal gibt es auch mehrere Absprünge … so nach und nach, immer wieder neu justiert und angepasst an die eigenen Wünsche und Möglichkeiten.
    Manche springen nie ab, reduzieren immer wieder mal zwischendurch.
    Und manche leben so weiter wie immer … wie Schwiegervater bis fast zum 91. Geburtstag, den er nicht mehr erlebte. Er starb während er den Wechsel plante und teilweise schon vollzogen hatte – das wa offenbar eine viel zu große Anstrengung – innerlich und kräftemäßig.

    Meines Erachtens sind NUR individuelle Lösungen vernünftig. Immer wieder mal drauf schauen – das ist wichtig.
    Kolossale Einschränkungen können in jedem Alter ganz plötzlich kommen, da braucht es nur einen schweren Unfall etc. und die Lebensverhältnisse müssen sehr plötzlich angepasst werden! Aber sooo möchte ich nicht leben, dass ich mich darauf schon jetzt einstelle!

    Nur so ein paar Ideen und Einfälle 🙂

    LG, Hiltrud

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    • Guten Abend, liebe Hiltrud, ja das Thema ist abendfüllend und sehr vielseitig und sehr individuell. Für meine Mutter war die alte vollgestellte Wohnung schöner und wohnlicher als die kleine jetzt spärlich eingerichtete Wohnung: es fehlt Nippes 🙂 und noch mehr.

      Jeder wird sich da anders auf seinen Lebensabend vorbereiten. Ich hatte schon mal an anderer Stelle erwähnt, dass ich eine 70jährige Dame kenne, die alles auf das Mindeste reduziert hat in ihrer Wohnung damit ihre Kinder nicht so viel Arbeit haben. Also. Ich finde das sehr schön, wenn eine Mutter so denkt. Man hat ja doch ganz schön zu tun … ich konnte die Wohnung zu Lebzeiten räumen; wenn ich dran denke, dass man dies während der Trauer erledigen soll puh! Und dann kommt ja auch noch der ganze Bürokram hinzu. Vor allem dann, wenn Menschen auch Besitz hatten … also nicht nur die eigene Wohnung, das eigene Haus …

      Ich glaube schon, wer sich seiner Endlichkeit wirklich bewusst ist, der kann das leichter bewältigen zu Lebzeiten: zu reduzieren und evtl. in ein Betreutes Wohnen ziehen … als ich vor drei Jahren meine Mutter auf Warteliste setzen ließ dafür war sie noch ganz weit weg davon und wie du schreibst: ein Unfall oder ein Schlaganfall zwingen zum Lebensumbruch und Umzug. Der Leiter des Hauses meinte: Kommen Sie wenn es Ihnen gut geht … dann bauen Sie Ihr Netzwerk auf und pflegen Kontakte, die dann auch zu Ihnen kommen, wenn es nicht mehr so gut geht … die Krux ist ja, wir wissen nicht wie alt wir werden, wie gesund wir bleiben, wann wir sterben werden … deshalb zögert man es hinaus ein neues und reduzierteres Leben.
      Späte Gedanken …
      Herzlich. PEtra

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