Wir reden übers Sterben … mit Martin Schuppli

Martin Schuppli ist Journalist und Blogger. Er interessiert sich für Menschen und deren Geschichten. Eine Freundin meinte zu einem Zeitungsartikel, den sie mir schickte: Das dürfte dich interessieren. In dem Bericht wird Martin in seinem Schreib- und Schwatzgeschäft vorgestellt. Mitten in Walenstadt. Einer Kleinstadt am Walensee. Von Zürich aus eine Stunde Zugfahrt Richtung Süden. Meine Neugier war geweckt.

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©️Ueli Hiltpold

Da musste ich ihm natürlich sofort schreiben. Ich machte ihn neugierig auf den Totenhemd-Blog und ebenso ein wenig auf mich. Prompt lud er mich ein zum Gespräch und Interview. Gestern war also unser Schwatztag in Walenstadt. Martin holte mich am Bahnhof ab und begleitete mich zu seinem Laden. Der gefiel mir auf Anhieb gut. Die Wände sind ringsherum mit Kunst und Fotos dekoriert. Ein Totenschädel auf dem langen Holztisch lenkt ab vom Blick auf den Laptop. Seine Leiche hätte ebenfalls Platz auf dem Tisch. Wir witzelten darüber, als das Gespräch schon fortgeschritten war. Ueli, der Fotograf und Martins Freund kam dazu und knipste tolle Fotos von uns. Zwei Korbstühle und ein kleiner Tisch laden zum Gespräch ein.

Martin wollte viel wissen von mir. Ich musste ihn bremsen. Wollte ich meine «ganze» Lebensgeschichte in seinem Blog lesen? Da wurde es mir schnell Angst und Bange. Aber mir war klar, wir hätten uns eine Menge zu erzählen. Das Resultat werdet Ihr in den nächsten Tagen hier auf dem Blog lesen. Ihn hat natürlich vor allem interessiert wie es zum Totenhemd-Blog kam und ob ein Totenhemd bei mir im Schrank hängt. (Wie Ihr wisst hängt mein Brautkleid als mein ausgewähltes Totenhemd in meinem Kleiderschrank.)

MartinSchupplisZeitgenossen

©️Ueli Hiltpold

Meine Fragen an ihn waren überschaubar. Wir haben uns viel Zeit genommen. Er hat einiges von sich privat erzählt. Das Eis war schnell gebrochen. Ich wollte natürlich wissen wie er darauf kommt «so einen Laden aufzumachen» und dann in Walenstadt. Die Antwort ergab sich durch die kleinen Begegnungen während unseres Gespräches: ich erlebte das quirlige Innenstadtleben und befürchtete manchmal, vorbeifahrende Autos würden die Kurve unterschätzen und direkt ins Schaufenster fahren. Eine Frau spazierte in den Laden und bat um einen Termin für ein Interview. Sagte, sie wolle über ihr Leben (und vielleicht über ihr Sterben?) sprechen. Wenig später fuhr ein Bekannter vorbei. Ein kurzer Tratsch auf der Straße musste sein, Martin mit dem Laptop unterm Arm. 

Sein größtes Anliegen ist, dass Tabuthema Sterben und den Tod an die Menschen heranzutragen. Die Hemmschwelle ist klein durch den Ladencharakter. Man tritt ein und lernt Martin kennen, bekommt einen Kaffee und verabredet sich. Ihn interessieren Menschen und Menschenleben. Er kann nicht anders. Er will «alles» von ihnen wissen. Will sie verstehen. Ihre Motivation, Beweggründe. Und er hat einen wunderbaren Einstiegssatz ins Thema. Lest selbst.

Wie bist du auf das Schwatzgeschäft gekommen?

Ich wollte die Öffentlichkeit erreichen. Erfahrungsgemäss sind Menschen neugierig. Journalisten ebenfalls. Wer hat schon einmal von einem Schwatzgeschäft gehört? Einem Ort, wo jemand Café gegen Gespräch tauscht. Das sorgt für Gesprächsstoff und brachte mir einen viel beachteten Medienauftritt in der Regionalzeitung. 

Das Schreib- und Schwatzgeschäft ist dein Büro?

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©️Ueli Hiltpold

 Richtig. Wenn ich dort arbeite, meine Blogs für DeinAdieu schreibe, schaue ich zum grossen Fenster raus auf die Strasse. Guckt jemand rein, setze ich mein strahlendes Lachen auf, öffne die Türe und offeriere ein Getränk, bitte zum Gespräch.

Warum hängen so viele Bilder an der Wand?

Jedes Bild birgt eine Geschichte. Anfänglich staunen die Gäste ob der unterschiedlichsten Porträts an den Wänden und den zauberhaften Objekten im Schaufenster. Es gibt also viel zu schauen und viel zu erzählen. Dann, wenn das Eis gebrochen ist, beginne ich mit meinem Gespräch. Stelle Fragen, gebe Persönliches preis. 

Du beschäftigst dich mit Tod und Sterben. Hast eine Ausbildung zum Sterbebegleiter absolviert. Was war deine Motivation?

Nun, mich konkret mit Palliative Care zu beschäftigen, macht durchaus Sinn. Ich konnte im Kurs des Schweizerischen Roten Kreuzes viel lernen. Verfüge nun über ein breites Wissen und könnte es, wäre ich nicht arbeitstätig, an den Betten von schwerkranken, sterbenden Menschen anwenden. Sie in ihren letzten Stunden begleiten. Die Mitarbeit in der Hospizgruppe Sarganserland ist für mich ein grosses Geschenk. 

Viele haben Hemmungen oder gar Angst, mit anderen über das Sterben zu reden. Du ‹verschenkst› deine Zeit, tauscht Café gegen Gespräch. Wie ist die Resonanz?

Ich bin überwältigt. Lernte spannende Leute kennen, führte interessante Gespräche, hörte von berührenden Schicksalsschlägen, sprach Trost zu und braute unzählige Cafés. 

Hast du einen Vorschlag für einen guten Satzanfang, wenn du mit jemandem übers Sterben redest:

Was machts mit Ihnen, wenn ich sagen könnte, Sie sterben heute Nacht still und sanft. Ohne Schmerzen, ohne Angst? Diese Aussage regt an, nachzudenken. Anfänglich finden das alle cool, bis ihnen bewusst wird, sie können sich von niemandem verabschieden.   

Wie ergänzt du diesen Satz der Künstlerin Candy Chang:
Bevor ich sterbe, möchte ich … 

… mit Freundinnen und Freunden, Kolleginnen, Kollegen, mit den Kindern, den Enkeln und meiner Partnerin ein Fest feiern. Led Zeppelin hören, eine letzte Zigarre rauchen und mich bei allen Menschen bedanken, die irgendwann meinen Weg kreuzten. Und dann möchte ich ganz bewusst den letzten Gang antreten.

Was glaubst du, kommt nach dem Tod?

Ich verabschiedete mich von allen kindlichen oder religiösen Vorstellungen. Weil niemand weiss, was danach kommt, empfehle ich, das zu glauben, was guttut, was einen das Trauern erleichtert. Also ab in den Himmel, ins Paradies, in den ewigen Osten oder ins Nirwana, in die ewigen Jagdgründe, ins Reich des Osiris. 

Wenn du in der Sterbe- und Bestattungskultur der Schweiz etwas ändern könntest, was wäre das?

Ich würde den Prozess des Abschieds entschleunigen wollen. Würde empfehlen, Stillgewordene aufzubahren, plädierte dafür, Bestattungen nicht im engsten Familienkreis abzuhalten, ermutigte die Leute, ein Leichenmahl zu organisieren. 

Dein Beitrag zu unserer Sammlung «100 Songs übers Sterben».

Eric Claptons «Tears in Heaven». Das melancholische Stück besingt die Trauer Eric Claptons nach dem Unfalltod seines vierjährigen Sohnes. Der Bub fiel am Mittwoch, 20. März 1991 in New York City aus einem Fenster im 53. Stock. 

Und sonst noch?

Ich frage: gibt es eine Pflicht zu leben? Frage: warum machen wir ein Theater, wenn jemand sterben möchte? Warum sind Lebenssatte gezwungen, sich auf aggressive Art und Weise vom Leben zu verabschieden? Warum Lokführer traumatisieren, Tatortreinigerinnen belasten, Angehörige in einen Schockzustand versetzen? Wir täten gut daran, Verständnis zu entwickeln für Menschen, die sterben möchten. Wir sollten allen die Möglichkeit geben, sich anständig aus dem Leben zu verabschieden. 

******

Wer mag, schaut sich das Porträt von Martin Schuppli an, in dem er zehn Minuten zu sehen und zu hören ist – in Schweizerdeutsch. 

Nach über drei Stunden war unser Gespräch noch lange nicht vorbei. Meine Bekannte (die mir den Zeitungsartikel schickte) lernte Martin kurz kennen und holte mich zum Mittagessen ab.

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Martin: während des Gesprächs von mir geknipst

Ich war ziemlich aufgekratzt. So viele Komplimente

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Ueli: während des Gesprächs von mir geknipst

hab ich schon lange nicht mehr gehört. Mit den beiden Männern hatte ich viel Spaß und einen sehr kurzweiligen Vormittag in Walenstadt. Beide waren unabhängig voneinander viele Male in Hongkong. Wir hatten uns viel zu erzählen.

Mehr Infos zu Martin: www.deinadieu.ch/blog

www.martinschuppli.ch

Uelis Website: www.photosphere.ch

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