Im virtuellen Café Totenhemd ( ehemals Death Café ) habe ich gestern das Buch von Lena Kost und Annette Boutellier vorgestellt. Ich hatte es hier in der Blogaktion schon einmal vorgestellt, weil ich darüber gelesen hatte. Nun liegt es vor mir. Zum Anfassen schön. Der Buchdeckel ist aus sehr festem und geriffeltem Papier. Es ist ein haptischer Genuss es in Händen zu halten.
Ausleben, finde ich einen schönen Titel. Gerade jetzt in Zeiten von Corona, während der viele alte Menschen wegen des Virus sterben und ihr Leben durch die Krankheit beendet wird. Im Buch Ausleben kommen ausschiesslich alte Menschen zu Wort. Es soll um jenen Tod gehen, den sich die meisten wünschen: den Tod nämlich, der irgendwann einfach anklopft – nach einem langen Leben.
Auf dem Foto sehen wir die neunzigjährige Sofie Pfister-Odermatt, Bergbäuerin. Eine von den insgesamt 15 Frauen und Männern, die hier in diesem Buch vorgestellt werden. Mit ihren Geschichten und Gedanken, Freude, Sorgen und Ängsten. Eine andere Frau ist 111 Jahre, als sie interviewt wurde. Sie würde gern noch einmal solch einen leckeren Salat essen, so wie ihn die Mutter im Garten hatte, als sie Kind war. Wir entdecken ein Ehepaar, beide 88 Jahre, die schon ewig zusammen sind. Da sind weiter ein Nobelpreisträger, ein Musiker und die Schauspielerin Monica Gubser. Sie war die Hauptdarstellerin im Film „Die letzte Pointe“. Sie ist inzwischen verstorben.
Das Vorwort der Autorin gefällt mir gut. Die Überschrift heißt: „Gegen die Angst vor dem Tod hilft nur eins: darüber reden“. Da kann ich nur sagen: Genau! Willkommen bei uns!
Ich zitiere aus dem Vorwort: Der Umgang mit dem eigenen Tod ist etwas sehr Persönliches. Es ist nicht immer einfach, darüber zu sprechen, auch nicht mit Familienangehörigen oder Freunden. Viele Junge trauen sich nicht, mit älteren, ihnen nahestehenden Menschen über Tod und Sterben zu reden. … …
Viele ältere Menschen hingegen schweigen … …
Es tut gut, über den Tod zu reden. Weil man ihn damit, zumindest ein Stück weit, gemeinsam akzeptiert. Weil solche Gespräche ein Gefühl der Zusammengehörigkeit befördern – als Menschen.
Mir gefällt das Buch sehr gut. Die Fotos von Annette Boutellier sind warm und nah, zeigen offene Gesichter. Lebenssituationen.
Im Vorwort lesen wir weiter, dass die alten Menschen keinen der vereinbarten Termine verschoben haben. Die Termine fanden statt. Die Alten waren da und präsent. Für die beiden Buchmacherinnen war das eine sehr wunderbare Erfahrung.
Das Buch ist im Merian Verlag erschienen. Ein herzliches Dankeschön geht an den Verlag, der mir ein Exemplar zukommen ließ. Hier gibt es die Infos zum Buch.
Hat dies auf ilseluise rebloggt und kommentierte:
Danke, liebe Petra! Jetzt sind wir wieder richtig gut beim Thema dieses Blogs, des Totenhemd-Blogs, danke, danke …
„Viele ältere Menschen schweigen …“
Dazu aus meiner Vita: meine Oma begann als sie 80 Jahre alt geworden, fortwährend über Tod und Sterben zu sprechen … dass es doch wohl jetzt bald so weit war.
Die meisten aus der Familie konnten das nicht ertragen, gingen dagegen an, malten ihr die Welt in schönsten Farben, … …, das Übliche eben, so wie man es oft genug hört.
Dabei hatte sie übrigens mit 80 noch ein prima Leben, war total selbstständig, ziemlich gesund mit Ausnahme von gelegentlichen Herzklabastern und Hexenschüssen, fuhr Fahrrad, besuchte andere im Dorf, half dort noch mit, und hatte ihren Garten, der sie in großem Umfang ernährte, machte Obst und Gurken und Kürbis und Bohnen und … ein, strickte, konnte noch lesen und Skat spielen mit uns.
Und blieb trotzdem unaufhörlich an dem in der Familie so ungeliebten Todesthema. Stieß auf großen Widerstand. Kaum jemand hörte ihr wirklich zu. Eigentlich gar niemand.
Auch bei mir war das lange so. „Guck mal, Oma, wie gut es Dir geht, im Vergleich zu vielen anderen in Deinem Alter!“ sagte ich und ähnliche Dinge.
Oma aber lebte schon längst „abschiedlich“, war im „es ist genug“ und „ich bin jetzt lebenssatt“.
Als sie dann so Mitte 80 war, begann ich empathischer zu werden. Begann zuzuhören. Schweigend. Kommentarlos, ohne Kritik zu üben.
Inzwischen hatte ich als Gemeindepfarrerin genügend ähnlich gestrickte Alte kennengelernt, ihnen zugehört – ohne zu widersprechen … gemerkt, gespürt, wahrgenommen: das ist es, was sie jetzt brauchen am Ende ihres Lebens. Zustimmung, Einwilligung, wenn sie sagen: „es ist genug!“
Ich hielt es aus … dies Zuhören … und spürte bald, wie gut das Oma tat.
Wenn sie erst mal fertig war damit, erzählte ich ihr von anderen alten Menschen, denen es wie ihr ging. Die wie Oma fragten „Hat der liebe Gott mich vergessen?“ „Wann kann ich endlich gehen – es ist genug?“
Oma musste bis 97 1/2 durchhalten, bis der liebe Gott sie dann doch noch geholt.
„Viele ältere Menschen schweigen …“
Ja, lassen wir es zu, hören wir ihren Gedanken zu, den abschiedlichen, halten wir es aus, dass sie sich nach dem Tod sehnen, der kommen möge wie ein lieber Freund.
Erst recht, wenn sie schwer krank sind, Schmerzen leiden, oder Übelkeit, wenn sie einfach nicht und nichts mehr mögen.
Die älteren Menschen sind viel realistischer als wir oft denken!
So bedauerlich, dass gesellschaftlich immer noch „Leben verlängern um jeden Preis!“ die Maxime ist.
Hörten wir doch endlich auf die älteren Menschen!
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