Wenn sie zuerst stirbt …

Melanie hab ich vor wenigen Wochen auf Zypern kennengelernt und sie zu ihrem eigenen Blog motiviert. Der ist jetzt im Werden. Für Melanie poste ich ihren Text.

die Fotos hat Melanie geknipst als „sie“ zuerst stirbt

Wenn ich zuerst sterbe…schreibt mir gerne Eure Gedanken zu diesem Satz.“ Ich habe Petra auf Zypern kennengelernt und sie hat mir von ihrer November-Bog-Aktion erzählt – ich erzählte ihr von einer ungewöhnlichen Entscheidung:

„Wenn ich tot bin, ist da nichts“

…als ich ihre Worte einem Freund erzählte sagte er: „Die wird sich wundern.“

„Ich weiß nicht worüber…schließlich hat kein Lebender diese Erfahrung je gemacht“ war ihre Antwort auf seine Reaktion. „Überrascht werden ist auch schön“ war seine. 

Sie hat Parkinson. Ihre Muskeln entziehen sich Stück für Stück ihrer Kontrolle. Sie will ihrem Körper nicht ausgeliefert sein. An einem Freitag wird sie sterben. Nein, genau genommen wird sie gehen, selbstbestimmt. Ich habe drei Tage zuvor Geburtstag und denke so: Geburtstage kann man planen, aber den eigenen Todestag normalerweise nicht.

Mir gefällt das Wort „gehen“ besser als sterben. Sterben klingt so passiv. Ich gehe aus dem Leben, beim Gehen schwingt ein Ziel, ein neuer Ort mit, eine Absicht. Sterben klingt so final. Sie sagt: „Ich schenke Dir nichts mehr dieses Jahr, ich spende das lieber für einen guten Zweck.“ Ich glaube sie irrt sich. 

Sie hat mir mit ihrem ungewöhnlichen Entschluss, den sie gegen einige Widerstände getroffen hat, ein ebenso ungewöhnliches Geburtstagsgeschenk gemacht – sich selbst vermutlich auch, weil sie so viele intensive Gespräche mit ihren Liebsten führt. Die berühren – auch zu Tränen. Das ist nicht nur traurig, das ist auch schön, weil es die Liebe ist, die da über die Wangen rinnt und sich so ihren Weg bahnt von Herz zu Herz. 

Ich fange an nachzudenken, über ihre Entscheidung, über ihr Leben und über meins. Lebe ich mein Leben? Tue ich die Dinge, die ich tun möchte? Wir haben unser Leben in der Hand. Nehmen wir es auch in unsere Hand?

Wenn ich zuerst gehe…

Das Leben ist tödlich. Wir alle bleiben nicht ewig. Wir reden also nur über den Zeitpunkt und den Ort vielleicht. Selbst da wissen wir nicht, ob es in einer anderen Dimension irgendeine Rolle spielt.

Ich stelle mir vor ich bin auf einer Party, meiner Lebensparty. Wenn ich die verlasse, will ich, dass Ihr aufhört zu tanzen? Will ich die Stimmung kaputt machen? Will ich diese Party crashen? Will ich, dass Ihr meine Party in eine Trauerfeier verwandelt? Nein!

Ich will dass Ihr Euch an mich erinnert, falls Euch das gut tut. Ihr könnt auch weiter mit mir reden oder tanzen, nur anders. Wer weiß, wie ich Euch antworten werde.

Ich will, dass Ihr Euer Leben weiter feiert und Euch nicht von Dingen, die Ihr nicht tun müsst, davon abhalten lasst. 

Aber halt! Ich sterbe nicht zuerst dieses Mal. Sie tut es, quasi zu meinem Geburtstag. Sie schenkt mir die Möglichkeit, das Leben anders zu sehen und zu genießen und sie schenkt mir mit ihrer umstrittenen Wahl eines angekündigten Todes die Möglichkeit, den Spieß umzudrehen und ihr ein paar Worte mitzugeben auf ihrem neuen Weg, an den sie nicht glaubt. 

Wenn Du zuerst gehst…

…hast Du an diesem Tag Deinen Tod in die Hand genommen, genauso wie wir unser Leben in die Hand nehmen sollten. Wir haben nur das eine. Wir haben die Verantwortung für unser Leben und damit dafür, dass es uns gut geht, dass wir glücklich sein können.

Die Verwandtschaft ist katholisch. 

Das Leben ist ein Geschenk Gottes. Darf man das einfach so retour geben?

Ich glaube, sie hat nicht immer ihr Leben in die Hand genommen. Sie hat vielleicht Entscheidungen getroffen, anderer zuliebe, nicht ihr selbst zuliebe. Vielleicht hadert sie mit der ein oder anderen nicht genommenen Richtung. Aber sie ist auch viele schöne Wege gegangen, die ihr die Familie jetzt in Erinnerung ruft.

…und die nicht genommenen Abzweigungen? Türen, die sie aufmachen konnte oder nicht – ihre Entscheidung. Nur Angebote. Das letzte nimmt sie an und schließt damit diese Lebenslektion ab. Nur, weil sie das will, das reicht. 

Dieses Mal hat sie die Tür aufgemacht, ganz entschlossen, planvoll, bedacht. Ich finde das bemerkenswert. Den Tod lässt sie sich nicht aus der Hand nehmen von irgendeinem unangenehmen Sterbeprozess, den sie nicht will und der ihr auch keinen Spaß macht. Da ist der Preis, die Liebsten noch ein wenig länger um sich zu haben, dann doch zu hoch. 

Als sie mir von ihrem Entschluss erzählt hatte vor vielen Monaten habe ich angefangen, Grenzen in meinem Kopf zu hinterfragen und zu entfernen. Ich bin zu meiner Freundin nach Mallorca geflogen. Durfte ich das? Einfach so ohne meine Familie? Warum nicht? Ich bin zwei Tage zum Wandern in den Harz gefahren, allein. Was die anderen darüber denken? Egal. Ich habe mit einem Freund Musik gemacht, einen ganzen Nachmittag und die halbe Nacht. Hätte ich das tun dürfen? Offensichtlich!

Ich feiere in diesem Jahr die Freiheit, entscheiden zu dürfen, wie wir leben wollen oder sterben. 

ebenfalls von Melanie fotografiert an „ihrem“ letzten Tag

Epilog
Ich treffe einen Freund. Er erzählt mir von seinem Sohn: Damals als der Junge noch in der Grundschule war, starb seine Oma. Er hatte sie sehr geliebt. An ihrem Grab lächelte er. Ein verwunderter Verwandter fragte ihn: „Bist Du denn gar nicht traurig?“ „Nö, ich freu mich, dass sie jetzt da oben sitzt und uns immer zuschauen kann.“

Melanie
Mail: cordini at fuehrunggeber.de
Website: http://www.fuehrunggeber.de

2 Gedanken zu „Wenn sie zuerst stirbt …

  1. Pingback: Die Debatte muss weitergehen. Wer hilft beim Sterben? Assistierter Suizid | Totenhemd-Blog

  2. Liebe Melanie, unsere Begegnung freut mich und dass Du nun in meinem Blog bist mit „deiner“ Geschichte ist sehr berührend. Wir haben viel gesprochen und ich war mit dir traurig … ich denke mal, es wird sie freuen deinen schönen Text zu lesen … sie schaut uns zu … vielleicht nickt sie dir zu dein Leben selbstbestimmt zu leben … see u again in Cyprus. Herzlich. Petra

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