Kälte und Grauen – eine Stippvisite in Hinterkaifeck

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Kreuz am Wegrand - Hinterkaifeck

Die Tage nach Ostern 2021: Kalt ist es, 2 °C zeigt das Thermometer, selbst wenn die Sonne gelegentlich zwischen den Wolken hervorkommt, wärmt sie nicht wirklich. Der Nordwestwind ist eisig und schneidend, immer wieder weht er Graupel heran, in der Nacht auch Schnee. Kälte kriecht durch alle Ritzen, wenn die Jacke nicht richtig geschlossen ist. Aber Kälte strahlt auch der Ort aus. Eiseskälte. Grabeskälte.

Ein Jahr ist es her dass ich das letzte Mal an diesem Ort war. Ein Ort des Grauens, ein Ort des Verbrechens: Vor auf den Tag genau 100 Jahren war es auch kalt in den Tagen um Ostern.

Schnee lag am Waldrand, der Bauer Andreas Gruber fand am Karfreitag frische Fußspuren hinter seinem Hof, er sah auch in der Ferne zwischen den Bäumen jemanden stehen, der aber, kaum dass er sich bemerkt fühlte, wieder verschwand. Es war der 31.03.1922 – der Tag, auf den eine grauenhafte Mordnacht folgen sollte. Denn in der Nacht zum 01. April wurden nacheinander der Bauer, seine Frau Cäcilia, ihre Tochter Viktoria und deren Tochter Cilli umgebracht. Mit bis zu neun Schlägen mit einer Hacke drosch der Mörder bestialisch auf seine Opfer ein, danach versteckte er die Leichen im Stall im Stroh.

Anschließend betrat er das angrenzende Wohngebäude. Dort ermordete er die Magd Maria, die erst kurz zuvor den Dienst auf dem kleinen, eher schäbigen und heruntergekommenen Hof von Hinterkaifeck den Dienst begonnen hatte, und schließlich auch das zweijährige Enkelkind der Bauersleute.

Der oder die Mörder wurden nie gefunden. Bis heute ranken sich Geschichten und Spekulationen, Verdächtigungen und Gerüchte um dieses unaufgeklärte Verbrechen. Viel wurde über diesen Mord geschrieben, er diente als Vorlage für den Roman Tannöd, dessen Verfilmung sowie ein gutes Dutzend weiterer Filme, in denen die Geschichte der unglückseligen Familie Gruber geschildert wird. So viel, dass heute längst nicht jeder mehr weiß, dass diese Geschichte in all seiner Grausamkeit auf einer wahren Begebenheit beruht – es sei denn, man lebt irgendwo in der Region, dann gehört es quasi zur Allgemeinbildung. Hinterkaifeck liegt in der Nähe der Gemeinde Waidhofen zwischen Schrobenhausen und Pfaffenhofen etwa 50 Kilometer nördlich von München.

Waldrand Hinterkaifeck

Denn die Schädel hatte man ihnen im Zuge der polizeilichen Untersuchungen abgetrennt. Sogar mit Hilfe eines Spiritisten, dem man die Köpfe zur Verfügung stellte, hoffte die Polizei, den Täter doch noch dingfest zu machen, nachdem nach unzähligen Ermittlungspannen und -fehlern sich jede Spur im Sande verlor und jeder Hinweis aus der Bevölkerung auf umherziehende Tagelöhner und Vagabundierer sich als falsch erwies.

Feld Hinterkaifeck

Die Köpfe der Toten wurden in Augsburg im kriminalistischen Institut verwahrt, statt auch sie zu beerdigen. Warum auch immer.

Ein Bombenangriff im Zweiten Weltkrieg zerstörte das Gebäude und alles, was darinnen war. Darum müssen die sechs Mordopfer noch immer kopflos in der Erde ruhen und dem jüngsten Gericht entgegenharren. Unter ihnen der zweieinhalbjährige Josef, der in dem Fall möglicherweise eine Schlüsselrolle einnimmt, bzw. die Frage, wer der Vater des kleinen Josef war, denn der Mann von Viktoria Gabriel war im Ersten Weltkrieg gefallen, lange bevor das Kind zur Welt kam.
War es ein Mann aus dem nahegelegenen Weiler Gröbern? War es vielleicht sogar der eigene Großvater Andreas Gruber? Es gab viel Gerede, viele Verdächtigungen.

Gröbern, kaum 500 Meter vom Mordort Hinterkaifeck entfernt

Alles ist gruselig an dem Fall, den besonders ausgiebig Peter Leuschner erforscht und in seinem Buch Hinterkaifeck – Deutschlands geheimnisvollster Mordfall (Afiliate Link zu Amazon) sehr detailliert und kenntnisreich darstellt – inklusive der nachgelagerten Ermittlungen, die sich über Jahrzehnte hinstrecken sollten.

Die Geschichte von Hinterkaifeck ist an sich spannend, besonders aber, da sie eines meiner Buchprojekte, das viel zu lange schon auf Realisierung wartet, streift. Eine zarte Berührung sozusagen, nicht viel mehr, aber es war genug, sich mit dem Mordfall ausgiebiger zu beschäftigen.

Und daher ist es wohl nicht verwunderlich, dass ich, mal wieder nach Waidhofen und Gröbern fahre, als ich ohnehin in der Region bin. Der Zufall wollte es so.
Vom Hof oder irgendeiner Bebauung ist natürlich nichts mehr zu sehen, ein ganz flacher Hügel wölbt sich über der Stelle, wo er einst stand und auf der sich heute ein Acker befindet. Trotzdem ist es inspirierend, an einem solchen Ort zu stehen, die einem so merkwürdig vertraut vorkommt, weil man so viel davon gehört und gelesen hat, und den ich selbst in einem eigenen Projekt, wenn auch nur beiläufig erwähnen werde.

Das Feld, auf dem einst der Hof von Hinterkaifeck stand

Heute ist Hinterkaifeck (zumindest war es in der coronalosen Zeit) ein Zielort für allerlei geführte Gruselwanderungen, vorzugsweise des Nachts, wenn man im Licht von Taschenlampen oder Kerzen am Marterl steht und sich die Schauergeschichten von damals vortragen lässt. Pfadfinder, Jugendgruppen, Sportvereine, Betriebsausflüge – man kam und schauderte.

Strahlt der Ort etwas Bedrohliche, Unheimliches aus?
Nein. Zumindest nicht, wenn man von der ganzen Geschichte, die sich vor knapp hundert Jahren ereignete, nichts weiß. Wenn aber doch, dann fröstelt es einen umso schneller. Ein schneller flüchtiger Blick zum Waldrand: Steht da nicht wer und schaut herüber?

Marterl in Hinterkaifeck

Kalt ist es, 2 °C zeigt das Thermometer, selbst wenn die Sonne gelegentlich zwischen den Wolken hervorkommt, wärmt sie nicht wirklich. Der Nordwestwind ist eisig und schneidend, immer wieder weht er Graupel heran, in der Nacht auch Schnee. Sind Fußspuren darin?

Waidhofen - Grabstätte der Familie Gruber

Ein Gedanke zu „Kälte und Grauen – eine Stippvisite in Hinterkaifeck

  1. Hallo lieber Lutz, da wohnst ja gar nicht so weit weg vom „Gruselort“. Danke für diese Geschichte, die mich für unseren Blog freut auch wenn es ungeheuerlich ist, was einst geschah. Dachte ich zuerst die automatische Rechtschreibkorrektur hätte sich kürzlich bei WhatsApp vertan als du mich über die Story in Hinterkaifeck informiertest, weiß ich nun um einen Ort, von dem ich noch nie hörte.
    Merci vielmals!!! Hab ich gern gelesen, wobei die Tatortfotos: uääää …. danke für die Vorwarnung! Das war wichtig.
    Herzlich Petra

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