Essing ist eine kleine Gemeinde in Niederbayern, irgendwo auf der halben Strecke zwischen Regensburg und Ingolstadt, kaum 1.200 Menschen leben dort an der Altmühl. Essing ist ein Ort, der vor allem wegen eines spektakulären Leichenfundes bekannt ist – das aber vornehmlich in Fachkreisen.
Man weiß wenig über den Toten und doch hat die Wissenschaft in den letzten Jahrzehnten erstaunliche Fortschritte gemacht, so dass man heute mit Sicherheit sagen kann:
Es handelt sich um eine Männerleiche, ein Mensch, der mit hoher Wahrscheinlichkeit eines natürlichen Todes gestorben ist, der 1,63 cm groß war, braune Augen und einen braunen Teint hatte und vermutlich schwarze Haare. Das alles hat die DNA-Analyse ergeben. Strontium- und C14-Methodik verraten noch mehr: Der Mann hat sein ganzes Leben in der Region des Altmühltals verbracht, die Strontium-Einlagerungen in seinen Kieferknochen lasswn darauf schließen, dass er die Gegend nie verlassen hat. Gestorben ist er im Alter von etwa dreißig oder vierzig Jahren.
Es ist erstaunlich und höchst beeindruckend, was alles über diesen Mann in Erfahrung gebracht wurde, von dem nichts weiter erhalten ist als ein nahezu vollständiges Skelett.
Wenn man sich vor Augen führt, dass das Skelett bereits vor über 100 Jahren in einer der vielen Höhlen im Kalksteinfelsen des Altmühltals gefunden wurde, ist das Ganze umso faszinierender. Einst wurde der Leichnam in eine erweiterte Felsspalte gelegt und eingebettet in eine dicke Schicht aus Rötel, also einer Mischung aus Ton und Hämatit, einem Eisenoxid-Mineral. So überdauerte er Jahrtausende, denn die Radiocarbonatdatierung der Knochen ließ eine Datierung auf rund 20.000 v. Chr. zu. Die Datierung allerdings erwies sich als fehlerhaft. Das Skelett wird heute auf etwa über 36.000 Jahre alt geschätzt.
So wird verständlich, dass die moderne Wissenschaft alles daran setzt, so viel wie möglich über den Toten in Erfahrung zu bringen. Das nämlich gibt Aufschluss über das Leben der Menschen in der Steinzeit.
Und das macht aber auch verständlich, warum das Skelett nicht irgendwo auf einem Friedhof in der Erde ruht oder in einem Gebeinhaus sondern unter Glas derzeit in Rosenheim in der Eiszeit-Ausstellung gezeigt wird.
Es ist zweifelsohne der Höhepunkt dieser Schau und führt mit Abstand am tiefsten in den heutigen Stand paläantologischer Forschung.
Computerprogramme haben ein mögliches Aussehen des Mannes errechnet, fast wie in der modernen Kriminalistik.
Und da ist sicherlich nicht so eine überbordende und immense Phantasie dabei wie sie noch vor einigen Jahrzehnen gang und gäbe war, als man sich die Menschen als Weiterentwicklung des Affen oder Neandeetalers oder eben als Krone der Schöpfungsgeschichte dachte.
Im Kontext dieses Blogs ist vor allem eines spannend: Die Auffindungssituation und der Erhaltungszustand des Skeletts zeigen, dass der Mann dort nicht „einfach liegen blieb“, wo er gestorben ist, sondern bestattet wurde. In einer Höhle, in einer Felsspalte, eingehüllt in Rötel – und damit geschützt vor Witterungseinflüssen und Aasfressern. Er war auf einem kalkhaltigen Boden gebettet, der dem Skelett nicht noch zusätzlich das Mineral entzogen hat. Ob letzteres denen, die den Mann bestatteten, bewusst war, darf man in Frage stellen, aber dass der Körper des Toten in der Art der Lagerung geschützt ist, wussten sie ganz sicher.
Besondere Grabbeigaben gab es in diesem Fall nicht, doch war dies in der frühen Menschheit durchaus üblich.
Viel mehr kann man aus diesem Fund über die steinzeitliche Bestattungskultur nicht in Erfahrung bringen Aber dass Leichen bestattet wurden, das beweisen viele andere Funde mit Skeletten, die sorgsam mit Steinen bedeckt waren und Grabbeigaben wie Waffen, Tiere oder Speisen. Zum Teil handelt es sich um noch viel ältere Funde.
Bestattungen gibt es, seit es den Menschen Homo sapiens sapiens gibt. Und schon davor, denn auch der ausgestorbene Neandertaler Homo neanderthalensis bestattete seine Toten. Was der Sinn war, die Toten zu schützen, ob es zum Beispiel bereits Vorstellungen von einer jenseitigen Welt gibt, lässt sich heute nicht mit Sicherheit sagen.
Aber eines kann man schon festhalten: Der Steinzeitmensch ist uns viel näher, als wir es vielleicht wahrhaben wollen – so weit hat sich biologisch evolutionär die Menschheit nicht mehr weiterentwickelt.
Die Ausstellung Eiszeit ist noch bis zum 11.12.2022 in Rosenheim im Ausstellungszentrum Rosenheim zu sehen. Eine überaus spannende, sehr gut kuratierte und sehr informative Ausstellung, die auch bestens für Kinder geeignet ist. Wer in der Region ist, oder mal das 9 € Ticket für einen sinnvollen Zweck nutzen will, dem sei die Ausstellung dringend empfohlen. Und wer im Urlaub oder auf der Fahrt vom oder in den Süden an Rosenheim vorbeikommt, der sollte sich zwei Stunden Zeit nehmen und die Autobahn verlassen. Es lohnt sich.
Einen weiteren Beitrag von mir über die Eiszeit-Ausstellung unter dem Titel Tiere der Eiszeit – Portraits lesen Sie hier in meinem Blog.
Spannend,und zu welcher Menschenart gehört das gefundene Skelett? Ich habe gerade nachgesehen, wie ich nach Rosenheitm fahren könnte 😉
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Das ist ein Homo sapiens.
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Bist du sicher? mit diesem Schädel ?
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So stand es auf den Schautafeln. Nah am Cromagnon-Menschen, DNA mäßig sehr ähnlich zu Funden in Tschechien und definitiv kein Neandertaler.
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Aha, na dann wird es wohl so sein. In der Anthropologie tut sich in letzter Zeit ja einiges. Von diesem Fund hatte ich allerdings noch nichts gehört. Danke für die Info!
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