Der Greif und ich, wir sehen uns immer wieder – Teil 3

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Ein fauler Hund war ich ja – oder ein effizient planender. Denn als es in den guten alten 80ern darum ging, in einem Seminar an der Uni ein Referat zu halten, erinnerte ich mich an den guten alten Gryphius.

Denn in der Lehrveranstaltung Das geistig Lied von der Reformation bis in die Zeit des Pietismus hieß es schnell und unaufgeregt ein Scheinchen abzugreifen, eines, das mir noch zum Examen fehlte.
Nicht aber mit dem Wust an Liedern Luthers oder dem frommen Gesang der pietistischen Schwaben wollte ich das erreichen. Gryphius musste her – denn der war der einzige, der im damals im Gebrauch befindlichen Gesangbuchs nur ein einziges Text zu einem Lied beigesteuert hatte. Das fand ich enorm spannend. Zudem nichts Lateinisches oder Griechisches. Wollte ich also Gryphius analysieren und historisch einordnen, konnte ich auf eine überschaubare Anstrengung hoffen. Seinen Lebenslauf betrachten, Ereignisse daraus zur Textinterpretation heranziehen und vor allem Gryphius mit sich selbst, also den mir bekannten Sonetten vergleichen. Ein wenig auf die anderen Barockdichter schielen – fertig.
Um der Fülle der potentiellen Referent*innen Herr zu werden, fragte der Dozent, wer lieber statt eines Referats eine Hausarbeit schreiben wolle.
Ja! Ich! Ich! Ich!
Es wurde immer besser.
Wie hätte ich auch gegen den Kommilitonen, der irgendwas zu Luther vorgetragen und mit Posaune angerückt war, anstinken können? Da waren doch 30 Seiten schneller geschrieben als 15 schlecht vorgetragen und coram publico erörtert. Also verschonte ich das Hauptseminar mit Gryphius.
Während andere sich durch Berge von Quellen fraßen, in den Liedversen Querverweise zu endlos langen theologischen Abhandlungen entdeckten und diese auch zu Rate ziehen mussten, hämmerte ich meine Gryphius-Arbeit in wenigen Tagen die Tastatur meines allerersten Computers und war fasziniert, dass dieser sogar eine einigermaßen gute Fußnotenverwaltung hatte. 24 Nadeln druckten das eilig runtergerotzte Elaborat aus, ich kassierte meinen Schein und fertig war die Lauge.

Die Herrlichkeit der Erden
muss Rauch und Asche werden,
kein Fels, kein Erz kann stehn.

Dies, was uns kann ergötzen,
was wir für ewig schätzen,
wird als ein leichter Traum vergehn.

Wir rechnen Jahr auf Jahre;
Indessen wird die Bahre
uns vor die Tür gebracht.

Drauf müssen wir von hinnen
und, eh wir uns besinnen,
der Erde sagen: Gute Nacht!

Wohl dem, der auf ihn trauet!
Er hat recht fest gebauet,
und ob er hier gleich fällt,
wird er doch dort bestehen
und nimmermehr vergehen,
weil ihn die Stärke selbst erhält.

1632, Der Tod des Johannes Tserclaes, Graf Tilly (1559 – 1632).

Und ich wandte einen Kniff an, der mir später bei Camus ein zweites Mal gelang. Die komplette Arbeit spiegelte ich an den biographischen Erlebnissen: Früher Tod des Vaters, als Kind fast ertrunken, Tuberkulose-Tod der Mutter, Zwangskatholisierung der Heimat, im Dreißigjährigen Krieg – das prägte die Kindheit.
Und es wurde nicht besser: Der Tod des Gönners, verheerende Brände in seiner Universitätsstadt, lebensbedrohliche Erkrankungen, Tod der Geschwister, fortdauernde Kriegswirren.. und so weiter und so weiter.
Wen wundert es da, dass Gryphius Tod und Vergehen zu seinem zentralen Thema machte? So analysierte ich das Lied 527 aus dem Evangelischen Kirchengesangbuch, löste Bilder auf, verwies auf andere Vanitas-Texte, auf Kohelet und kam immer wieder zum persönlichen Schicksal des Autors zurück.
Besonders gut wurde die Arbeit nicht benotet, soweit ich das in Erinnerung habe.
Aber der benotete Schein für die erfolgreiche Teilnahme am Seminar, der war im Sack.

Später – bei Camus – „exegesierte“ ich „Der Fremde“ ungleich erfolgreicher nach gleichem Schema. Camus hätte „Der Fremde“ und „Die Pest“, vermutlich auch niemals den „Mythos von Sisyphos“ geschrieben, wenn er nicht selbst in Algerien aufgewachsen wäre unter glühender, bedrohlicher Sonne. Zumindest nicht so. So wie Gryphius vermutlich auch seine Sonette nicht ohne all die Katastrophen seines persönlichen Lebens.
Eine steile These – aber als Student durfte man sich das ja herausnehmen.

Mit meiner Semesterarbeit über die Herrlichkeit auf Erden nahm ich vorerst Abschied von Gryphius. Er „hatte seine Schuldigkeit getan“ und ich auch. Mein Interesse aber am Barock, seiner gewaltigen und symbolhaften Bildsprache, den Vanitas-Motiven in der Kunst, blieb ich treu. Bis heute.
Schädel in der Asamkirche

Sitzend in der Münchner Asamkirche begreife ich den Sinn der vielen Totenschädel, der Gerippe, das mit der Schere den Lebensfaden abschneidet. Der Tod z‘ Äding, der hier im Blog demnächst auch noch thematisiert wird, ist für mich ebenso nachvollziehbar wie die Fülle niederländischer Stillleben, die ich in den Museen der Welt bestaune. Und immer bleibt mir dabei diese eine Sentenz vom Greif im Ohr: „Du sihst/ wohin du sihst nur Eitelkeit auff Erden.“

Vanitas vanitatum et omnia vanitas

Oder, biblisch gesagt (Prediger 1,14): Ich sah an alles Tun, das unter der Sonne geschieht; und siehe, es war alles eitel und Haschen nach dem Wind.

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Mal böse, mal artig, mal bösartig. Satirisch, unabhängig, kritisch, motzig, ironisch - ganz wie es die Situation erfordert. Beobachtend, lauernd, zubeißend. Der will eben nur spielen.

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