wir laden ein zur diesjährigen November-Blogaktion: Schreibe eine Kurzgeschichte egal welches Genre, ein Slam Poetry oder ein Lied. Die einzige Voraussetzung, das Wort „Totenhemd“ soll in deinem Text drin sein.
Im März 2017 haben wir euch in unserer Blogaktion „Totenhemd meets Poetry“ motiviert poetisch mitzuschreiben. Nun also PROSA im November.
„Die Prosa wird als eine freie, ungebundene, nicht durch Rhythmik, Reim und Vers gebundene Form der Sprache verstanden“. Definition bei Wikipedia.
Die Challenge Wir wollen leichter und offenherziger über das Thema „Sterben“ reden. Es soll explizit nicht ums Trauern gehen. Lachen und Weinen, Schimpftiraden und Liebesschwüre sind willkommen.
Die Form diesmal: Prosa! Kurzund schlicht, freestyle, gerne auch: slammig oder als Elfchen, humorvoll, träumerisch, skurril, ein Spiel mit Worten.
Der nachfolgende Beitrag gehört zu den am häufigsten gelesenen Texten in meinem Blog. Vielleicht kennen Sie in bereits. Falls nicht, wiederhole ich ihn hier sehr gern, allerdings in textlich leicht gekürzter und geänderter Fassung:
Die Staatsstraße ST 2080 verbindet östlich von München die beiden oberbayerischen Gemeinden Ebersberg und Markt Schwaben. Eine merkwürdige Strecke. Dabei scheint an einem frühen Sommermorgen alles so idyllisch, so friedlich.
Doch der Schein trügt. Düsteres weiß man im Landkreis Ebersberg über den Ort zu berichten. Und nicht nur dort geht eine gruselige Geschichte um, die sich dort ereignet hat.
Denn einst hat es hier einen schweren Unfall gegeben und damit fing alles an. Nun ist der Totenhemdblog nicht unbedingt ein True-Crime-Blog, auch kein sensationsheischendes und -lüsternes Medium, Unglücksfälle und Geschichten von Mord und Totschlag zu kolportieren. Aber dieser spezielle Fall spukt noch immer in den Köpfen der Menschen in der Region umher. Und Halloween, Allerheiligen und Allerseelen steht vor der Tür, da darf es heute ruhig etwas creepy sein. Denn das „spukt“ ist in diesem Fall wörtlich zu nehmen.
Es nähert sich der November und mit ihm die Totentage, Allerheiligen zum Beispiel. Oder der Volkstrauertag; ein staatlicher Gedenktag für die Opfer von Gewalt und Krieg aller Nationen. Auf viele Friedhöfen gibt es eigene Gedenkstätten und Gräberfelder für die toten Soldaten und Soldatinnen, für zivile Personen, in KZs Ermordete oder Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen.
Oft sind es reihenweise die gleichen Steinkreuze, eins neben dem anderen im Gras. Auch das eingemeißelte Todesdatum ist oft gleich, nur die Namen unterscheiden sich. Solche Ehrengräbern haben laut Gesetz ein ewiges Ruherecht. Oft ist die Schrift so verwittert, dass man sie nicht mehr lesen kann. In manchen Ziffern und Buchstaben wachsen Moos und Flechten.
Für uns Menschen ein Anblick, bei dem man sich wie im Liedtext „Sag mir wo die Blumen sind“ fragt: Wann wird man je verstehen?
Für viele Tiere dagegen ist ein solche Kriegsgräberstätte ein lichtes Gräsermeer voller Futter mit warmen Steininseln dazwischen.
Zum Beispiel Heuschrecken, Grashüpfer und Grillen fühlen sich hier oft wie im Paradies. Oder: Spinnen. In alten Geschichten sind Spinnen wie weise Frauen, die Weberinnen der Zeit, der Schicksalsfäden.
Meine Schreibfreundin aus Cornwall erzählte mir vom schön gelegenen Friedhof Hönggerberg. Letzte Woche spazierten wir gemeinsam in die Höhe und ich entdeckte einen herbstlich farbenfrohen Friedhof in Zürich Höngg.
Mariella zeigte mir das Familiengrab. Aus Puccinis Oper Tosca ziert den Grabstein die italienische Textfassung: „E lucevan le stelle“ (und es leuchteten die Sterne). Die Familie liebt Musik: es wird und wurde gesungen oder Instrumente wie Geige oder Klavier gespielt. Wie schön und wie passend dieser Grabstein ist!
Der Friedhof liegt relativ klein auf einer Anhöhe mit Blick in die Stadt. Allerdings wird der Blick durch zahlreiche Bäume und Sträucher verdeckt.
Tiere, Blumen oder Instrumente sind oder zieren die Grabsteine aus Holz oder Stein.
Stephan Sulke war immer so etwas wie ein Außenseiter und gleichzeitig einer, der sich nur schwer in irgendeine Kategorie stecken ließ. War er Liedermacher? Chansonnier, Schlagersänger?
Und überhaupt: Gibt es den überhaupt noch?
Ja, es gibt ihn noch, oder wieder. Zumindest gibt es eine offizielle Webseite von ihm, die – auch wenn ohne aktuelle Termine – ziemlich aktuell ist. Gelegentlich erscheint ein Tonträger von ihm, mittlerweile steht er kurz vor seinem 80ten Geburtstag. Den Höhepunkt seiner Karriere hatte er in den frühen 80ern, als die Liedermacher eine besonders gewichtige Rolle in der deutschen Populärmusik einnahmen. Aber so richtig gehörte er nie dazu – dazu war er nicht politisch genug, vielleicht ein wenig zu melancholisch, zu sentimental, zu nah am Schlager, zu oft auch in der Playlist der großen Radiosender, die Sulke spielten, aber nicht Wader oder Wecker. Vielleicht auch hatten die größten Erfolge Der Mann aus Russland und vor alle Uschi zu wenig Tiefgang, vor allem zweitgenannter Titel rückte ihn fast in die Ecke der klamaukigen Interpreten. Der Mann aus Russland – soweit noch als Randbemerkung – hört sich über 40 Jahre nach seiner Entstehung befremdlich und kolossal naiv an. Und falsch noch dazu, weil Kiew und Minsk, von denen der besungene Mann als Stätten seiner Heimat so schwärmt, gar nicht zu Russland gehören.
Schlagersänger war Sukle aber auch nicht – zu düster teilweise die Texte, zu wenig Frohsinn.
„Meine Musik war immer eine Mischung aus Sarkasmus, Melancholie und etwas Blödelei“ charakterisierte er sein Schaffen einst in einem Interview.
Und so pendelte der Mann mit der überaus weichen, sanften Stimme zwischen den Genres, gewann das Herz vor allem weiblicher Fans wegen dieser Sanftheit und Einfühlsamkeit – und nicht zuletzt wegen eines sehr eigentümlichen Gesangstils, zwischen einzelnen Wörtern ganz kurze Pausen zu machen. Die waren nie so lang, dass sie den Takt gestört hätten, aber nie so kurz, dass man sie nicht bemerkt hätte – vor allem aber waren sie immer dort platziert, wo man sie nicht erwartet hätte; zumeist mitten in der Zeile. Das verschaffte der Musik einen Anstrich von Nachdenklichkeit, so als sinniere der Sänger darüber, ob er wohl die richtigen Worte gewählt habe, die er gleich ins Mikro singen würde.
1979 veröffentlichte Sulke seine vierte LP, die einfach nur seinen Namen Stephan Sulke 4. Darauf enthalten ist das Lied Heut seid ihr alle eingeladen.
Gibt es ein besseres Beispiel, um zu zeigen: Das ist nicht Schlager?
Wenn sich einer von seinen Feinden wie den Kameraden verabschiedet, sagt, er wäre gern noch geblieben, verlasse aber nun das Jammertal, dann ist – auch wenn es nicht explizit so gesagt wird – von einem Abschied auf Immer die Rede. Und damit ist mitnichten ein Ortsteil Solingens gemeint, der tatsächlich Jammertal heißt, sondern ganz der christlichen Tradition folgend das irdische Leben allgemein. Wie Reinhard Meys Wie ein Baum, den man fällt war auch Sulke in den Dreißigern, als er das Lied schrieb und sang. Es erschien fünf Jahre nach Meys Gedanken zum Sterben. Das Thema lag wohl in der Luft.
Hier der Text:
Heut seid ihr alle eingeladen, Wo seid ihr nur so lang geblieben? Die Feinde und die Kameraden, Mein Leben habt doch ihr geschrieben.
Heut seid ihr alle eingeladen, Mir scheint ihr wollt schon von mir eilen. Ihr zieht davon so wie Nomaden, Wollt ihr nicht noch etwas verweilen.
Und ihr sollt froh sein, Ich verlass das Jammertal. Nur die Straßen und die Felder Und die Städte und die Wälder Und euch alle seh ich gern noch tausend Mal.
Heut seid ihr alle eingeladen, Heut weckt der Frühling seinen Flieder. Erzählt mir nochmals die Balladen, Und singt mir nochmals meine Lieder.
Und ihr sollt froh sein, Drüben sei ein besseres Land, Nur die Schläge und die Kriege Und die Zweifel und die Siege Und die Hoffnung hab ich alle gern gekannt.
Heut seid ihr alle eingeladen, Ich hab euch lang bei mir getragen, Doch langsam reißt der letzte Faden, Und ich hätt noch so viel zu fragen.
Die Trauerfeier fand drei Tage später statt. Jakob war nach der Nacht auf ihrer Couch wieder zurück in seine Wohnung gegangen und Katharina traf ihn auf dem Friedhof. Paula und Bruno hatten darauf bestanden mitzukommen. Jakobs Studienfreund Daniel war gekommen. Die beiden hatten während ihres Studiums gemeinsam in einer Band gespielt. Als sich Jakob auf Geriatrie spezialisiert hatte, entschied sich Daniel für die Dermatologie. Er schien der wildere von beiden gewesen zu sein. Durch das weiße Hemd, das er unter seinem schwarzen Anzug trug, schimmerten großflächige Tätowierungen, die im Nacken über seinen Hemdkragen, und an den Manschetten über seine Handrücken heraus zu kriechen schienen.
Weder Karl noch Jakob hatten Geschwister und so saßen sie zu fünft vor wenigen noch lebenden von Karls Freunden und einiger seiner früheren Nachbarn und hörten sich, von einem Pfarrer, dem Karl nie begegnet war, Karls Lebensgeschichte und vermeintlich tröstende Bibelstellen an.
Und Karl wollte Kylie Minogue hören, für die er immer eine Schwäche gehabt hatte. Als am Ende der Trauerfeier die ersten Takte von ‚I Should Be So Lucky‘ erklangen, waren einige der Trauergäste irritiert. Bruno und Paula fingen an zu kichern, der Pfarrer begann an seinem Rednerpult zu wippen und mit einer Hand den Takt zu schlagen, und Jakob, Katharina und Daniel sangen falsch, aber mit.
Der anschließende Trauerkaffee fand im Speisesaal des Kurstifts statt. Jakob hatte sich einige Tage frei genommen und war seit Karls Tod nicht mehr dort gewesen. Herr Bergmann kam dazu, kondolierte Jakob und setzte sich zu ihnen an den Tisch. Nun konnte auch Paula Herrn Bergmann kennenlernen. Sie saßen zu sechst am Ende des Tisches bei wahlweise Kaffee, Tee oder Limonade und Streuselkuchen. Paula und Bruno erzählten Herrn Bergmann von Kylie und Bruno fragte Daniel, ob es sehr weh tue, sich tätowieren zu lassen. Seine Antwort, dass das auf die Körperstelle ankäme, führte in einen detailreichen anatomischen Diskurs, den Katharina mit dem Hinweis auf ihre Erziehungsberechtigung und Bruno mit einem: „Menno“ beendet.
Passend zum heutigen Erntedank haben wir heute ein Gedicht von Clemens von Brentano (1778-1842) für Euch. Es zeigt allerdings eine ganz andere Perspektive auf das Erntedank-Fest, als man sie sonst zumeist einnimmt. Und wieder treffen wir auf den Schnitter, den Tod, der die Verbindung zwischen Erntedank und diesem Blog aufs Vortrefflichste herstellt.
Eventuell kennt Ihr das Gedicht auch aus dem Kluftinger Krimi Erntedank.
Es ist ein Schnitter, der heißt Tod…
Es ist ein Schnitter, der heißt Tod,
Er mäht das Korn, wenn′s Gott gebot;
Schon wetzt er die Sense,
Daß schneidend sie glänze,
Bald wird er dich schneiden,
Du mußt es nur leiden;
Mußt in den Erntekranz hinein,
Hüte dich schöns Blümelein!