Ein Nachklingen: Totenhemd meets Prosa

Schon tönt überall Weihnachtsmusik aus den Lautsprechern. Deshalb heute bevor das leise Summen unserer November-Blogaktion untergeht: Dankeschön an alle, die mitgewerkelt und mitgeschrieben haben. Schönes, Skurriles, Lustiges habt Ihr uns zum Lesen geschickt. Manchmal schräg, manchmal holprig, manchmal bitterböse. Ihr ward pünktlich mit Euren Beiträgen, das hat es mir sehr vereinfacht.

Bei einigen war ich streng, da waren die Voraussetzungen nicht erfüllt. Nichts für ungut, nächstes Jahr gibt es eine neue Chance: Wir wollten Prosa und das „Totenhemd“ im Text. Gut, dass mich meine Schwester an unseren Aufruf erinnerte: „da steht freestyle“.

„Kurz und schlicht,
freestyle,
gerne auch: slammig oder als Elfchen,
humorvoll, träumerisch, skurril,
ein Spiel mit Worten.“

Und nun beginnt die Adventszeit. Wir sagen Tschüss den Totenköpfen und den Totenhemden. Ich räume den bunten November-Altar auf und verstaue die Totenkopf-Musikanten und die orangefarbenen Papierblumen. Jetzt pirsche ich mich an die Adventszeit heran.

Habt eine gute Zeit, Ihr lieben Schreiberinnen und Geschichtenerzähler. Wir lesen uns im nächsten Jahr wieder. Lutz war schon ganz fleißig und wird uns bald mit seinen Texten erfreuen.

Macht’s gut. Habt eine ruhige Adventszeit. Hier erscheint übrigens am 8. Dezember eine Adventüde von mir. Die Adventüden werden täglich neu erscheinen – wie in einem Adventskalender bei Christiane. In ihrem Blog „Irgendwas ist immer“. Die ersten zwei Kurzgeschichten sind schon zu lesen und sehr sehr lesenswert. Schaut mal rein.

24.11. Juliane: Tic

Er sitzt in der letzten Reihe zwischen seine Kollegen. Herbert ist eingenickt. Walter und Ronny schauen auf ihre Knie, wo in ihren Händen ihre Telefone liegen und Zeichtrickfilme für Walter abspielen und Ronny versucht ein Sudoku zu vervollständigen.

Ganz vorne sieht ihnen die Pastorin entgegen und redet über ein finsteres Tal.

„Pssst!“

Sie unterbricht sich nicht und lässt die Anwesenden wissen, dass sie kein Unglück fürchtet und auch niemand anderer.

In den Reihen vor ihm drehen sich zwei junge Frauen um und sehen dann wieder zur Pastorin, die durch Stecken und Stab getröstet wird.

„Pssst!“

Wieder drehen sich die beiden Frauen um und auch eine älteres Paar einige Reihen noch weiter vorne. Die jungen Frauen stoßen sich an und flüstern sich etwas zu. Das Paar schüttelt die Köpfe.

„Pssst!“

Die jungen Frauen und das Paar schauen wieder nach hinten. Herbert erschreckt, steht eilig auf und stößt dabei gegen seinen Stuhl. Walter, Ronny und er erheben sich ebenfalls.

„Pssst!“

„Amen“, sagt die Pastorin und der Organist beginnt mit dem letzten Stück.

Er, Walter, Herbert und Ronny gehen langsam den Weg zwischen den Trauergästen nach vorne auf den Sarg zu. Ganz vorne sitzen Frauen mit großen schwarzen Hüten und Sonnenbrillen, je dichter sie kommen um so deutlicher hört er sie schluchzen.

„Pssst!“

Und das Schluchzen wird lauter.

Herbert und er gehen an die hinteren Ecken des Sarges, Ronny und Walther an die vorderen. Die Orgel verstummt.

„Pssst!“

Wie auf sein Kommando greifen er und seine Kollegen an die Griffe. Die Pastorin macht den ersten Schritt in Richtung Ausgang und die folgen ihr und schieben den Sarg zwischen den Trauergästen hindurch. Vor der Aussegnungshalle warten weitere Trauernde. Die Gäste aus der Kirche folgen dem Sarg und als die Wartenden draußen, die ersten sehen und erkennen können, beginnen sie in Taschen nach Telefonen und Kameras zu kramen.

„Pssst!“

Als der Sarg vorbei rollt, wird es still, ehe weiter gekramt wird und die ersten beginnen zu tuscheln. Ein Zipfel des Totenhemds.

„Pssst!“

Wie eine Welle rollt das Tuscheln und Wühlen in Beuteln und Rucksäcken durch die Reihen von Trauernden, die den Sarg und die Gäste nach und nach zum ersten Mal sehen.

„Pssst!“

Nach und nach verstummt die Menge, während die engsten Angehörigen sich an der Grabstelle versammeln. Die Frauen mit den Hüten schluchzen noch mehrfach laut auf, als der Sarg in das Grab hinabgelassen wird.

„Pssst!“

Eine der Frauen mit Hut schnäuzt sich laut die Nase und setzt ihre Sonnenbrille ab und beginnt zu singen.

„Pssst!“

„Pssst!Pssst!“

Er sieht sich um und fühlt sich zum ersten mal an diesem Tag nicht alleine.

22.11. Sigrid: Grün bestattet

Wie groß unser ökologischer Fußabdruck ist, den wir auf dieser Erde hinterlassen, dafür ist der letzte Gang nicht entscheidend. Da gibt es zu Lebzeiten deutlich mehr zu lassen und zu tun. Dennoch ist es vielen Menschen heutzutage wichtig, auch den Tod im Einklang mit der Natur und sozial nachhaltig zu gestalten. Und durchaus gibt es einiges, worauf sich achten lässt.

Die Ökobilanz für einen Trauerfall zu erstellen, ist nicht ganz einfach. Nicht nur, weil es ein so sensibles Thema ist, sondern auch weil es ist wie immer:  Einerseits ist es ganz leicht – wenn es das Andererseits nicht gäbe. Das fängt schon damit an, ob man sich für eine Erdbestattung entscheidet oder für eine Einäscherung. Eine Einäscherung verbraucht viel Energie. Ungefähr so viel wie ein Mensch durchschnittlich im Monat benötigt hat. Jede Verbrennung produziert C02 und weitere Emissionen; außerdem wird ja auch der Sarg mit verbrannt.

Wer sich für eine Erdbestattung entscheidet, spart all das ein – und überlässt die Arbeit der Natur. Genauer gesagt, den zahlreichen Mikroorganismen in der Luft und in der Erde, die sich mit organischer Substanz auskennen, weil sie ihr täglich Brot ist. So verschwinden nach und nach das Holz vom Sarg, die fleischliche Hülle; am längsten brauchen die Knochen.

Dafür gibt es die sogenannten Ruhefristen, die Zeitspanne, für die man ein Grab erwirbt, in der es gepflegt werden darf – oder muss. Diese Fristen haben wenig mit Pietät zu tun, sondern ganz handfest damit, wie lange es dauert, bis alles zersetzt ist. Das hängt hauptsächlich von der Art des Bodens ab und liegt zwischen zehn und vierzig Jahren. Sind die Verhältnisse sandig, geht es schneller. In schweren Lehmböden sehr viel langsamer und manchmal auch gar nicht. Fachleute sprechen dann von Verwesungsstörungen.

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19.11. Petra: Ausrangiert

Vor wenigen Minuten hatten sie Blumen in bunten Herbstfarben für eine Pflanzschale bestellt. Für Montag. Da soll die Beerdigung stattfinden. Das Trauergesteck mit den grünen Textfahnen und der silberfarbenen Schrift wird eine Geste sein, dass sie vier an ihn denken. Ein liebevoller Gruß für die letzte Reise. Viele Jahre haben sie mit ihm im gleichen Haus gelebt. Er war ihr Nachbar.

Sie genossen das gemütliche Ambiente im angrenzenden Café. Es fiel spätsommerliches Herbstlicht durch die geöffneten Glasscheiben. Die Sonne brannte. Der Kuchen schmeckte lecker. Es war viel los. Die Menschen zog es ins Freie. Eine Trauergesellschaft löste sich auf.

Am Nebentisch hörten sie wie eine Frau ins Erzählen kam. „Ich hab heute das blau-weiß karierte Hemd meines Vaters aus meinem Kleider- in den Flurschrank gehängt. Was soll dieses Hemd in meinem Schrank, dachte ich? Viel zu nah dran an meiner Garderobe.

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17.11. Anja: Totenhemd – ist das Prosa oder kann das weg?

„Das macht sie nicht… Oder?!?“ etwas nervös hört man die Stimme…

„Neeein, das macht sie nicht.“ tönt es beruhigend zurück.

„Das macht sie NICHT!!!“ etwas lauter.

„Nein, nein, natürlich nicht, das würde sie nie tun…“ wieder beruhigend…

„Lasst mich mal durch, ich kann gar nichts sehen… Ach, schau, die Anja habe ich ja lange nicht gesehen. Gut sieht sie aus, so fröhlich.“

Hier bei Anja weiterlesen.

15.11. Sarah Bernhardt T arnkleidung

T arnkleidung
O hne
T aschen
E nthält
N notwendigerweise
H eute
E in
M ahnendes 
D ennoch

***

Danke Sarah!

Ich hatte bei der Gelegenheit bei uns geschaut, ob Du einen Blog schreibst. Dabei habe ich diesen wunderbaren Text von dir entdeckt: Es geht.

13.11. Hiltrud: Oh du mein Totenhemd

O du mein totenhemd

Strick ich’s totenhemd, strick ich’s totenhemd schon freu ich mich auf dich. O du mein totenhemd, mein totenhemd, mein totenhemd, o du mein totenhemd, mein totenhemd bist du!

Seh ich’s totenhemd, seh ich’s totenhemd verlieb ich mich in dich. O du mein totenhemd, mein totenhemd, mein totenhemd, o du mein totenhemd, mein totenhemd bist du! Hier bei Hiltrud weiterlesen.

Text und Musik: Verfasser unbekannt Volkslied aus Berlin, in vielen Varianten verbreitet nach dem Bauerntanz „Jetzt tanzt Hannemann.“

Mein Beitrag zur November-Blogaktion 2022 „TOTENHEMD“ trifft auf PROSA.

„LIED“ ist meine Textform.

*** Liebe Hiltrud, das ist ja mal eine Idee!! Ein Lied nach einem alten Bauerntanz. Tanzen wir eine Runde? 🙂

11.11. Lutz: Reisen mit leichtem Gepäck

„Das letzte Hemd hat keine Taschen,“ sagte er und wuchtete eine Kiste Rotwein in seinen auf den Tresen an der Kasse. Dort bezahlte er mit einem Lächeln einen Betrag, mit dem andere Leute durchaus einen Urlaub finanzieren würden und verließ das kleine Geschäft. „Und ein Totenhemd schon gar nicht!“
„Weißt Du“, hatte er ungefragt an der Kasse dem Inhaber, den er als Stammkunde schon lange duzte, erklärt: „Ich kann sowieso nichts mitnehmen auf diese Reise. Gar nichts. Zumindest nicht, was ich schleppen müsste. Nur das hier…“ Er klopfte liebevoll auf die hölzerne Kiste, „das will ich mir noch gönnen.“ Sein Grinsen war verschmitzt. „Das muss einfach sein!“
Bald schon würde er den ganzen Scheiß, der ihm auf die Nerven ging, hinter sich lassen und dann hätte er seine Ruhe. „Endlich!“
Er konnte es kaum erwarten.

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