Vor wenigen Minuten hatten sie Blumen in bunten Herbstfarben für eine Pflanzschale bestellt. Für Montag. Da soll die Beerdigung stattfinden. Das Trauergesteck mit den grünen Textfahnen und der silberfarbenen Schrift wird eine Geste sein, dass sie vier an ihn denken. Ein liebevoller Gruß für die letzte Reise. Viele Jahre haben sie mit ihm im gleichen Haus gelebt. Er war ihr Nachbar.
Sie genossen das gemütliche Ambiente im angrenzenden Café. Es fiel spätsommerliches Herbstlicht durch die geöffneten Glasscheiben. Die Sonne brannte. Der Kuchen schmeckte lecker. Es war viel los. Die Menschen zog es ins Freie. Eine Trauergesellschaft löste sich auf.
Am Nebentisch hörten sie wie eine Frau ins Erzählen kam. „Ich hab heute das blau-weiß karierte Hemd meines Vaters aus meinem Kleider- in den Flurschrank gehängt. Was soll dieses Hemd in meinem Schrank, dachte ich? Viel zu nah dran an meiner Garderobe.
Stell‘ Dir vor, ich hab sogar an dem Hemd geschnuppert, ob es noch nach ihm riecht. Schön blöd, was? Nach so vielen Jahren. Da war nix. Nicht ein Hauch von Waschmittel, Wäschekommode oder Zigarettenrauch. Gibt es einen neutralen Geruch? Nichtssagend-neutral-stumpf so würde ich die Note bezeichnen, die mir in die Nase zog. Was hab ich erwartet?
Aber weißt Du was. Nicht MEIN Totenhemd im Kleiderschrank sondern das ausrangierte Hemd meines Vaters erinnert mich an meine Endlichkeit“.
Die beiden Kuchen essenden Freundinnen schauten sich zwinkernd an. Wie leicht wurde man ungewollt Zuhörerin von Gesprächen, die einem ins Ohr fließen. Sie überlegten flüsternd, welches Totenhemd wohl ihr Nachbar auf seiner letzten Reise tragen wird.
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