Federleicht

Wenn sie nicht bei ihm ist, ist sie für ihn viel präsenter. Dann trägt er sie andauernd in seinem Kopf mit sich herum, kann sie augenblicklich sehen, wenn er das will, ist voller Ideen und Vorfreude darauf, dass er sie irgendwann wieder berühren kann, sie umarmen und seine Stirn gegen ihre legen kann. Wenn sicher wäre, dass sie keinesfalls zurückkäme, weil sie gar nicht zurückkommen könnte, ginge das nicht mehr. Deshalb müsste er wissen, wenn sie nicht nur gerade nicht da, sondern für immer fort wäre. Wenn es keine Möglichkeit, gar keine, gäbe, dass sie einmal wieder da sein könnte.

„Versprich mir, dass ich erfahre, wenn Du tot bist“, hat er ihr gesagt.

Sie hat gelacht und gefragt, ob er auch wissen wolle, wenn sie sterbe oder ob eine Mitteilung danach ausreichend sei. Er hat sie gebeten, ihn ernst zu nehmen und versucht ihr zu erklären, warum er wissen müsse, wenn sie tot sei. Weil er dann Abschied nehmen müsse, für immer und nicht nur ein paar Stunden oder Tage, von seinen Hoffnungen, weil er dann keine mehr haben könne. Sich nicht mehr vorstellen könne, wie sie sich das nächste Mal begegneten. Er sich dann sicher sein könne, dass sie auch bei niemand anderem wäre und ganz egal wer sie sonst nicht geliebt habe, ihr das niemand mehr zeigen und niemand es sie noch spüren lassen könne. Er könnte dann anfangen aufzuhören sie zu lieben. Vielleicht würde er ruhiger werden. Das ginge nicht, wenn die auch nur ganz entfernte Möglichkeit bestünde, dass sie wieder käme oder sie sich noch einmal sehen könnten, irgendwann.

„Wäre es nicht schöner, wenn Du immer noch an diese Möglichkeit glauben könntest?“, hat sie von ihm wissen wollen und er hat schlicht „Nein“ gesagt.

„Wieso nicht?“, fragt sie nach.

„Weil es mir unerträglich erscheint, die Möglichkeit theoretisch schon doch praktisch nie zu haben. Weil Dich schon andere lieben und Du meine Liebe nicht brauchst. Ich Deine schon.“

„Zu wissen, dass ich tot bin, ist leichter für Dich?“

„Ja. Wenn Du wirklich tot bist. Dass Du dann tot bist, wird nicht leicht sein. Doch zu wissen, dass Du nicht wegen mir oder dem was ich fühle nicht zurückkommst, das wäre leichter.“

„Ich kann Dich nur verlassen, wenn ich sterbe?“

„Sonst bist Du immer noch da. Auch wenn Du nicht bei mir bist.“

„Ich will Dich nicht verlassen. Auch nicht, wenn ich tot bin. Vergiss das nicht, nie.“

„Sag’ mir, wenn Du tot bist!“

https://einundzwanziguhr.blogspot.com/2023/01/federleicht-romantischer-versuch.html

100 Songs: Bert Brecht/Paul Dessau – Lied der Mutter Courage (1941)

Heute, am 24.02.2023 jährt sich zum ersten Mal der Tag, an dem Russland seinen Nachbarn, die Ukraine überfiel und das Land mit Krieg, Terror, Mord, Vergewaltigungen, Plünderungen und vielen anderen Verbrechen überzog. Die Bilanz des Krieges, der eigentlich nach Putins Vorstellungen nur ein paar Tage dauern sollte: Weit über 100.000 Tote, mindestens 15.000 vermisste Menschen, über 14 Millionen Menschen auf der Flucht. Unzählbar die Menge der Verletzten, Verwundeten, Verstörten.

Eine Ende ist nicht abzusehen und die Perfidie bei dem, was dort geschieht, scheint keine Grenzen zu kennen.
Nein: Es nützt nichts, dagegen anzusingen, dagegen anzubloggen, dagegen anzudichten und zu schreiben. Auch nicht, gegen den Krieg auf dem Theater zu spielen.
Es ändert nichts. Es ändert nicht mal unser Bewusstsein, denn der Krieg ist in allen klassischen, analogen, digitalen und sozialen Medien allgegenwärtig, auch wenn der Fokus dort hin und wieder auf anderen Inhalten liegt; wir alle wissen, sofern wir es denn wollen, was am Ostrand Europas stattfindet. Und nicht nur dort: Krieg und Elend, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, gegen Menschenwürde und -rechte werden Tag für Tag gemeldet. Aus vielen Ländern. Weiterlesen

Aschermittwoch. Fastenzeit: ohne Schminke

Heute ist Aschermittwoch (Hier auf der Seite von „Andere Zeiten“ schön erklärt). Ich habe geschaut, ob in einer der hiesigen Kirchen ein Gottesdienst stattfindet fürs Aschekreuz auf der Stirn. Traditionell werden während der Zeremonie folgende Worte gesprochen:

»Bedenke, Mensch, dass du Staub bist und wieder zum Staub zurückkehren wirst.« Wir werden eingeladen, uns an unsere Endlichkeit zu erinnern. (Inspiriert von „die Fastenbroschüre 7 Wochen anders leben“ vom Andere Zeiten Verlag)

Und mit dem heutigen Tag beginnt die Fastenzeit bis Ostern. Das Wort „fasten“ stammt vom althochdeutschen „festhalten, beobachten“. Damit ist das Festhalten an Regeln und die Beobachtung des eigenen Ich gemeint.

In Basel fotografiert … ein Haarsalon: Art of Hair

Ich lade ein für einen Moment innezuhalten heute mit der Frage: Willst Du die nächsten sieben Wochen – nämlich in der Fastenzeit – etwas weglassen oder etwas Neues ausprobieren? Willst Du einen kleinen Teil deines Alltags – im Hinblick auf deine Vergänglichkeit – anders gestalten?

Meine Gedanken zum heutigen Tag und zu den folgenden Wochen: Es ist mal wieder Zeit, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Das Leben ist endlich. Ist mir ja nicht neu :-). Aber eine Zeitlang bewusst darüber zu schreiben oder zu denken? Ja warum nicht. Ich mache das mit der folgenden Idee: Ich will ausprobieren, mich die nächsten Wochen nicht zu schminken. „Zeig‘ Dich wie du bist, ohne Rouge, ohne Lippenstift, Kajal oder Wimperntusche“. Uiii, das ist mal eine Herausforderung. Denn ich schminke mich eigentlich täglich.

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Herzen auf dem Friedhof

Heute ist Valentinstag, Herzen überall seit Wochen. Auch bei meinen Friedhofsspaziergängen sind mir immer wieder welche ins Auge gefallen, von schlicht bis bunt.

Bei uns heute ist der Valentinstag mehr oder weniger ein Wirtschaftsfaktor. Seine Ursprünge hat dieser Tag wohl schon sehr viel früher. Allerdings weiß man nicht genau welche. Eine Erklärung knüpft an die römische Götterwelt an. Im alten Rom gedachte man am 14. Februar der Göttin Juno, die als Schützerin von Ehe und Familie galt. Die Frauen bekamen Blumen geschenkt. Diese Verehrung ging dann auf den Valentinstag über. Aber wer genau war dieser Valentin? Und was hat er mit der Liebe zu tun? Auch das setzt sich aus mehreren Legenden zusammen. Eine besagt, dass im frühchristlichen Rom ein gewisser reicher Valentin eine Kirche bauen ließ, die nach ihm benannt wurde; und einer der Geistlichen dieser Kirche war ein besonders warmherziger und hilfsbereiter Mensch. Er soll für Rat- und Trostsuchende immer ein offenes Ohr gehabt und sich auch bei Beziehungskrisen gekümmert haben. Eine Art frühchristliche Paarberatung sozusagen. Eine andere Legende sagt, dass er seinen Klienten und anderen auch Blumen aus dem Kirchgarten schenkte.

Die Bräuche der Liebesbriefe und Geschenke kamen wohl erst mit dem Mittelalter auf: So hieß es, ein Mädchen werde den heiraten, den es am Valentinstag als ersten Mann erblickt; heiratswillige Männer verteilten deshalb möglichst früh am Morgen Blumensträuße an die in Frage kommenden Frauen. Auch anonym Liebesbriefe oder Herzen an den heimlichen Schwarm zu schicken, war länger Brauch, vor allem in England und Nordamerika. Hierzulande und heute schenkt man seinem Lieblingsmensch Blumen, Essenseinladungen oder auch mal außergewöhnliche Dinge wie Ballonfahrten zu zweit oder Wellnessevents. Diese Kommerzialisierung ist für viele der Grund, den Valentinstag zu ignorieren. Aber das ist eigentlich schade. Gerade in harten Zeiten kann man nicht oft genug nett zueinander sein. Liebe und Zuneigung ist ja nicht an teure Geschenke geknüpft, Erinnerung schon mal gar nicht.

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100 Songs: Rammstein – Adieu (2022)

Die Fanbase kann schon Wundersames bewirken. Als das niederländische Online-Magazin metalfan.nl die Frage stellte, welcher Song denn für die Beerdigung der beste sei, stimmten die User für Rammstein. Für Adieu. Bemerkenswert daran: Der Song stand nicht mal in der Vorauswahl, wie man einer Pressemeldung, die im Februar 2023 durch die Szene und die Sozialen Medien ging, entnehmen konnte und Metal-Hammer ein wenig süffisant feststellte: „Für die Macher des Metal-Portals war das Lied offenbar zu langsam. Doch die Fans haben ‘Adieu’ so oft in den Kommentaren zur Umfrage in den Sozialen Medien erwähnt, dass ein Sieg unumgänglich war.“

Das wundert nicht weiter, der Text passt zu dem Anlass perfekt, so gut, dass nach Veröffentlichung des Albums Zeit das Gerücht aufkam, das war’s dann wohl. Rammstein verabschiedet sich, löst sich auf. Weiterlesen

Das letzte Hemd – Haus am Dom in Frankfurt – noch bis 26.2.

Wir hängen: Im letzten Hemd – im Haus am Dom in Frankfurt oder
„Stell Dir vor, Du bist tot“

„Wie kam es eigentlich, dass wir uns in unserem Totenkleid fotografieren ließen?“, überlegten Annegret und ich während der Vernissage letzte Woche zur Ausstellung „Im letzten Hemd“ im Frankfurter Haus am Dom. Die Antwort ist einfach: Wir wurden eingeladen. Wir hatten den Totenhemd-Blog frisch am Start, als uns eine Mail über Sinn und Zweck der Aktion „Im letzten Hemd“ informierte. Wir überlegten nicht lange und waren mit dem, was wir auf unserer letzten Reise einmal tragen würden zum Fotoshooting angereist. Ihr erinnert euch an unsere Blogartikel, die ich weiter unten verlinke.

Annegret und ich suchten in der Ausstellung erst einmal unsere Fotos und fanden sie schnell. Es war ein besonderer Moment für uns, die Aufnahmen nun in Originalgröße bewundern zu können. Ich bin im Hochzeitskleid gekleidet mit roter Jacke aus Hong Kong, auf der das chinesische Zeichen für Glück zu sehen ist. Wir machten schnell einen Schnappschuss von uns und schon ging die Veranstaltung los. 

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Am Sterbebett der Mutter – eine Romanpassage

Johannes Gillhoff, Bildquelle unbekannt

Zur Erklärung eine kurze Vorgeschichte:
Während meines Studiums beschäftigte ich mich in einem Seminar auch mit der Ars moriendi, der Kunst des Sterbens, an sich einer mittelalterlichen literarischen Gattung. Es ist eine Art Erbauungsliteratur, die dem Gläubigen den Übergang vom Leben zum Tod nicht nur erleichtern, sondern auch erklären sollte.
Im weitesten Sinn gehört zur Ars moriendi auch die Schilderung von Sterbeszenen in an sich anderer Literatur und so war unter anderem Teil des Seminars, ein Blick in das Buch Jürnjakob Swehn, der Amerikafahrer von Johannes Gillhoff zu werfen. Sicherlich ist dieser kleine Roman weder Welt- noch Erbauungsliteratur. Der Briefroman erschien 1917, Gillhoff verwandte darin Briefe des Auswanderers  Carl Wiedow, die dieser dem Vater Gillhoffs, der Dorfschullehrer war, geschrieben hatte. Das Buch erzählt in Briefen die Geschichte eines Amerika-Auswanderers aus dem Mecklenburgischen in der Mitte des 19. Jahrhunders, der seinem alten Dorfschullehrer immer wieder von seinem neuen Leben und den Erlebnissen in der neuen Welt berichtet.
In einer Passage schildert er den Tod seiner Mutter, sehr feinfühlig und anrührend. Es lohnt, diese Passage hier in Ausschnitten wiederzugeben. Sie ist ein Ausnahmestück in dem Briefroman, der ansonsten eher geprägt ist von Humor, von der Naivität der Auswanderer ohne große Bildung, von Frömmigkeit und Rechtschaffenheit, von Bibelzitaten und Erinnerungen an die zurückgelassene Heimat (Was heißt: Den Roman muss man nicht unbedingt gelesen haben).
Aber diesen Abschnitt schon, es lohnt sich. Weiterlesen