In der Mühldorfer Hart

Dieser Beitrag ist ein Auszug aus der vierteiligen Serie In der Mühldorfer Hart, die ich im März 2023 auf meinem Blog veröffentlicht habe. Wer weiterlesen und tiefer in die Thematik eintauchen möchte, findet unter diesem Link alle Teile, meine Eindrücke und viele Bilder.

Ein Vogelzwitschern hier und dort in den Bäumen, die Sonne hat den Hochnebel erfolgreich zurückgedrängt, es liegt so etwas wie Frühling über der Mühldorfer Hart. Zumindest kann man ihn erahnen. Die Mühldorfer Hart ist ein etwa 1100 Hektar großes Waldstück, zumeist mit Fichten und Kiefernbestand, ein Wald, der wie so viele, gerade im Umbau befindlich ist. Nadelgehölze werden ausgeschlagen, junge Buchen wachsen, Birken und Schwarzerlen.

In der Mühldorfer HartHin und wieder bellt ein Hund, ein fernes Grummeln am Himmel erinnert daran, dass der Münchner Flughafen nicht allzu weit entfernt ist.
Ansonsten Stille. Friedliche Stille. Ein Wald im März.
Idylle pur.

In der Mühldorfer Hart

Aber deshalb bin ich nicht herkommen. Wälder wie diesen habe ich direkt vor meiner Haustür. Ich bin nicht zum Spazierengehen hier, nicht um Landschaftsbilder zu machen, auch nicht, um darauf zu hoffen, ein Tier vors Objektiv zu bekommen.

Mein eigentlicher Grund, den Mühldorfer Hart, der etwa 32 Kilometer Luftlinie von meinem Zuhause und ca. 65 Kilometer von der Münchner Innenstadt entfernt, ist ein anderer: Ich möchte drei Orte besuchen, besichtigen (wenn man das so sagen kann) und schauen, ob ich deren Besonderheit, irgendwie erspüren kann, begreifen kann, was hier einst geschehen ist: Ich möchte bin mir etwas anzuschauen, was AfD-Faschist Björn Höcke möglichweise als ein weiteres „Denkmal der Schande“ bezeichnen und sein Parteigenosse Alexander Gauland, Ehrenvorsitzender derselben rechtsextremen Partei als Teil vom „Fliegenschiss der Weltgeschichte“ titulieren würde: Das Waldlager IV/V. Einst war es ein Außenlager des KZ Dachau, am Rand des Harts bei Ampfing.
Auch das Massengrab möchte ich sehen, in dem über 2.000 Tote dieses Lagers im Wald verscharrt wurden und schließlich die Ruinen des vollkommen wahnwitzigen Bunkerbaus. Eindrücke und Bilder finden sich in meiner Blogserie auf meiner Seite (Link hier).
In diesem Blog möchte ich nur von dem erzählen, was ich als erstes im Mühldorfer Hart besucht habe: Das ehemalige Massengrab.

In den neun Monaten vom Sommer 1944 bis Ende April 1945, in denen das Waldlager in Betrieb war, kamen tausende Menschen durch unmenschlich schwere Arbeit, mangelnde Ernährung, Krankheiten ums Leben. Einige starben jedoch auch, weil sie mit einer Schaufel niedergeschlagen oder exekutiert wurden. Die Grausamkeit zu begreifen ist schier unmöglich. Doch damit nicht genug: Wenn die Krankenstation überfüllt war, wurden auch noch lebende Menschen einfach mit in das Massengrab geworfen. Dieses befand sich etwa einen Kilometer vom Waldlager entfernt am westlichen Rand der Hart.
Zwei mächtige Betonblöcke markieren die Gedenkstätte – ja man kann außen herumgehen, aber eben auch durch sie hindurch und sich anhand der Text- und Bildtafeln informieren, was hier einst geschehen ist, sich dem aussetzen.
Nüchterner Fakt: Über 2.200 Menschen wurden hier innerhalb eines Dreivierteljahres im Wald verscharrt.

Und „verscharrt“ trifft es nicht einmal, denn die Gräber, von denen man heute nur noch ein paar Unebenheiten des Bodens sehen kann, wurden gar nicht erst geschlossen. Denn am nächsten Tag mussten die Häftlinge die nächsten Toten heranschleppen und diese auf die bereits in den Löchern liegenden Leichname werfen. Erst wenn die Grube voll war, wurde sie geschlossen und eine neue ausgehoben. Und noch eine. Und noch eine. Und…

Einmal mehr erweist sich mir an diesem Tag die Kamera als ein hilfreiches Gerät, einen großen Abstand zu dem Geschehenen zu gewinnen. Es ist ein Verstecken hinter dem Sucher. So ist zudem emotional eine ungemein starke Distanzierung möglich. Mit dem Blick durch das Objektiv verliert ich jede Nähe, es geht ums nüchterne Erfassen, um den Wunsch, etwas in Bildern festzuhalten, etwas auszurücken, was man vielleicht so gar nicht sagen kann.

Diese Distanz macht es mir erträglich, sich mit dem zu beschäftigen, was hier zwischen den Bäumen geschehen ist.
Heute führt ein Weg aus Betonplatten zu dem ehemaligen Massengrab. Mein Verstand weiß, dass es dort neben ein paar Kuhlen in der Erde nichts mehr zu sehen gibt. Das hilft mir in dem Augenblick aber wenig: Ein paar Texttafeln am Weg konfrontieren mich mit dem Grauen. Es gibt kaum ein Entkommen, sich dem zu stellen.

Der Weg endet am Rand der Lichtung. Zahlreiche schräg abgesägte Bäume stehen dort. Es ist ein unglaublich treffendes und starkes Symbol für den tausendfachen Tod in diesem Wald.

Auf vielen Baumstämmen liegen Steine.
Es ist ungemein tröstlich, diese Steine zu sehen. Sie sind Bestandteil uralter jüdischer Tradition. Es sind Zeichen, dass da einer ist, der zum Grab geht, der an die Toten denkt, sich ihrer erinnert, sie ehrt. Denn „das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung“ wie es der Gelehrte Rabbi Israel ben Elieser gesagt haben soll.

Für mich bedeutet das, dass Menschen hierher kommen, sich erinnern und der vielen, vielen ermordeten für sie wildfremden Menschen gedenken. Auch wenn uns mittlerweile fast 80 Jahre von dem Geschehenen trennen. Aber es kann mich nicht versöhnen mit all dem, das ist kein Happy End.

Bevor ich gehe, hebe ich einen Stein vom Boden auf und lege ihn auf einen der Baumstümpfe. Ich suche einen Stumpfs aus, auf dem noch kein Stein liegt.
Das ist meine Art, an die Toten zu gedenken – an sie, die Opfer dieses mörderischen Regimes.

 

4 Gedanken zu „In der Mühldorfer Hart

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..