Zum Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau

Heute vor 78 Jahren befreite die 7. US Armee das Konzentrationslager Dachau. Damit endete ein kaum vorstellbares Kapitel des Grauens, der Brutalität, Menschenverachtung, der Morde und Kriegsverbrechen, die die Deutschen während dieser Zeit begangen haben.

Es gilt, sich daran zu erinnern – nicht, um Verantwortung zu übernehmen für das, was war, das können und müssen wir Nachgeborenen nicht, wie es Max Mannheimer so trefflich formulierte. Aber die besondere Verantwortung, dass dies sich niemals wiederholt.

Mit Paul Celans „Todesfuge“ möchte ich an diese Verbrechen erinnern.
Im März 2023 habe ich das Lager nach sehr langer Zeit mal wieder besichtigt, meine Eindrücke habe ich in meinem eigenen Blog niedergeschrieben und dort auch eine längere Fotostrecke veröffentlicht. Daraus habe ich einige Bilder für diesen Beitrag entnommen.
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Ganz sicher

Sie hat seit Tagen mit niemandem gesprochen. Die Nachrichten reichen ihr, um ihre Gedanken zu beschäftigen. Und sie verwirren und verunsichern sie. Sie weiß nicht was sie glauben, denken oder tun soll. Und schon gar nicht was das Richtige wäre, das sie tun sollte. Sie will ihre Großmutter anrufen, sie hat immer eine Antwort. Und ohne weiter darüber nachzudenken, wählt sie ihre Nummer. Sie meldet sich wie immer, nur ihr Familienname. Und sie kann auch nicht sehen, wer sie anruft, weshalb sie sagt: ‚Ich bin’s‘, und ihre Großmutter antwortet nur mit: ‚Hallo mein Schatz‘.

‚Wie geht es Dir? Passt Du gut auf Dich auf?‘, will sie wissen.

‚Aber sicher‘, entgegnet ihre Oma.

‚Was passiert da jetzt?‘, fragt sie dann. ‚Was müssen wir jetzt machen?‘.

‚Meine Mutter hat mir mal erzählt, dass es eine schlimme Grippewelle gab. Nach dem ersten Krieg. Sie mussten fast ein Jahr zu Hause bleiben. Hatten keine Schule und man hat allenfalls die eigene Familie treffen können. Nach einem Jahr war es wieder weg. So wird das auch sein. Kann ja nicht anders.‘

‚Und wenn doch?‘, fragt sie. ‚Kann man das länger aushalten?‘

‚Sicher, müssen wir ja dann.‘

‚Kann ich zu Dir kommen?‘

‚Sicher‘.

Sie legt auf, und das Gefühl zu ihr zu fahren, von ihr in den Arm genommen zu werden, mit ihr am Küchentisch zu sitzen und dabei Nachrichten zu schauen, beruhigt sie. 

Und dann erinnert sie sich, dass sie nicht mehr da ist. Sie ist weg, seit elf Jahren. Doch für sie, ist sie immer noch da. Sekundenweise, um dann zu bemerken, dass sie nicht mehr anrufen kann, nicht reden oder umarmen. Doch mit ihr sprechen kann sie noch. Und spüren, dass es sie gegeben hat. Auch wenn es sich merkwürdig anfühlt, nach all der Zeit. Sie hat sich nicht verändert, sie ist noch immer, wie sie war. So wie sie war, bevor sie krank wurde. Sie versteht sie immer, sagt jedes Mal etwas Hilfreiches und immer das Richtige. Selbstverständlich will sie mit ihr reden und selbstverständlich tut sie es. Wenige Augenblicke in denen sie die Realität vergessen und sich aufgehoben fühlen kann. Und mit den Jahren hat sie verstanden, auch diesen Schmerz zu verdrängen, den sie empfindet, wenn sie merkt, dass sie eben doch nicht mehr da ist und sie kann die Bruchteile von Sekunden genießen, in denen sie darauf vertrauen kann, ihr trotzdem begegnen und sicher sein zu können. Ganz sicher, ohne darüber nachzudenken.

Was 21 Gramm wiegt – und was nicht

Menschen, die öfter lange Briefe geschrieben oder Rechnungen mit der Post verschickt haben, wissen das: Ein normales Blatt Kopier-/Druckerpapier wiegt etwa 4,99g. Also wiegen vier Blätter knapp 20g, was, wenn man den Umschlag hinzugerechnet, das Porto über einen Schwellwert steigen lässt.

Und dann ist da noch die Seele. Die wiegt 21 Gramm. So jedenfalls dachte sich der amerikanische Arzt Duncan MacDougall (1866-1920) das, denn das hatte er bewiesen.
Dazu hatte er im frühen 20. Jahrhundert ein heute eher sonderbar anmutendes Experiment veranstaltet:
Er legte Menschen auf die Waage, die kurz davor waren zu sterben und beobachtete, ob sich das Gewicht direkt beim Übertritt in den Tod. Und nicht er allein – als Zeuge seiner Untersuchungen sammelte er ein Kollegium um sich.
Tatsächlich fand MacDougall einige „Probanten“ in einem Tuberkulosekrankenhaus, die dafür bereit waren und machte eine Reihe an Versuchen.
Wie er darauf gekommen war?

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100 Songs: Georg Danzer – Das kaun do no ned ollas gwesen sein / Und der Himmel kommt unter die Räder (1975/1989)

Und dann war da noch der Danzer, Georg. Der viel zu früh starb. Im Alter von nur 61 Jahren. Ob das viele Rauchen Schuld an seinem Lungenkrebs war, dem er letztlich erlag? Höchst wahrscheinlich.
Danzer sang von Freiheit, von Frieden, war ein Unangepasster, ein Sensibler.
Mal experimentierte er mit der Neuen Deutschen Welle, mal rückte er der Rockmusik näher, mal war er hochpolitisch, dann wieder mit Fendrich und Ambros sehr nah an der Popmusik.
Und immer wienerte er. Das Genre der in Mundart singenden Künstler, das in den 70er Jahren des vorangegangenen Jahrhunderts enorme Popularität erreichte, ist massiv geprägt durch die österreichischen Sänger wie eben Danzer, Mendt, Pluhar, Heller, Ambros, Hirsch und später Fendrich.
Große Bekanntheit gelangte Danzers zutiefst melancholisches Lied Des kaun do no ned ollas gwesen sein, das 1975 auf dem Album Ollas leiwaund erschien, durch die Verwendung im ersten Teil der österreichischen Kult-Krimi-Serie Kottan ermittelt. In der ersten Episode Hartlgasse 16a liegt es über dem Abspann und passt dorthin wie kaum ein anderes. 1976 wurde die Folge erstmals im ORF und 1980 im ZDF ausgestrahlt und verursachte einen Skandal. Aber das ist eine andere Geschichte.

Als Georg Danzer das Lied textete und komponierte, war er noch nicht einmal 30 Jahre alt. Nicht das Alter, um zu bilanzieren, nicht mal für eine Zwischenbilanz – und schon gar nicht das eigene Leben. Er tat es trotzdem. Was treibt einen in dem Alter an, sich Gedanken zu machen, ob das schon alles war, ob er vielleicht einfach das Leben zu leben vergessen hat?

Das ist schwer zu verstehen und letztlich auch nicht mehr zu beantworten. Denn der Dichter und Texter ist lange tot.
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Lesetipp: „Das mangelnde Licht“ von Nino Haratischwili

Das Buch beginnt mit einem Gedicht des georgischen Dichters Terenti Graneli, der 1934 36-jährig in Tiflis starb. Mit diesen beiden Zeilen beginnt und endet das Gedicht:

„Wie habe ich mich an den Tod gewöhnt
Es lässt mich staunen, dass ich noch lebe.“

Ich habe schon lange kein so aufwühlendes und emotionales Buch gelesen wie dieses. Es geht um die Freundschaft von vier Mädchen, die heranwachsen in Tiflis. Nachdem das Land die Unabhängigkeit erreicht hat, verfällt es in Chaos. Die Autorin hat die Gabe fesselnd zu erzählen und schafft es mit einer Leichtigkeit, die Vergangenheit der Mädchen zu beschreiben im Wechsel zur Gegenwart. Die erwachsenen Frauen treffen sich nämlich in Brüssel zu einer Foto-Retropektive ihrer toten Freundin. Dina wurde durch ihre Fotos bekannt. Sie knipste ihr Leben, ihre Freundinnen, den Krieg und die Toten.

Gleich auf der ersten Seite wird in einem kurzen Satz erzählt, dass Dina sterben wird. Die Tragödie erfahren wir erst ganz zum Schluss; deshalb bleibt die Lektüre spannend wie ein Krimi. Ich habe es per Zufall in meiner Gemeindebibliothek am Zürichsee entdeckt. Freundinnen, denen ich das Buch empfahl, überraschten mich, dass sie es schon gelesen hatten (und mir nichts davon erzählt hatten ;-)). Meiner Schweizer Freundin schrieb ich: „ich weine glücklich und beseelt, hab gerade die letzten 130 Seiten gelesen; alle Gefühle sind drin, schonungslos und nackt – brutal und zärtlich und hoffend und verlierend … tröstlich traurig fröhlich“. Sie liest es nun und schreibt: „wunderbar!!“

Der NRD titelt „furioser Roman“ und auch im Podcast „eat.READ.sleep“ erfahrt Ihr über das Buch. „832 Seiten hat ihr neuer Roman „Das mangelnde Licht“. „Keine Seite zu viel“, findet Daniel. Und auch Jan legt sich fest: Das Buch ist der beste Roman, den er in diesem Jahr gelesen hat“. 

Schaut mal rein. In der Frankfurter Verlagsanstalt erschienen.

Der einsame Christus

Guten Morgen „allerseits“, oder wie man in der Schweiz sagt „mittenand“, Christiane hat mich auf dieses schöne Gedicht von Christian Morgenstern aufmerksam gemacht und gleichzeitig hab ich Werner Anahata Klebbers Blog kennengelernt.

Einen sonnigen Gründonnerstag wünsche ich euch.

Morgen am Karfreitag singe ich im Richterswiler Kirchenchor zum Gottesdienst „Die 7 Worte Jesu am Kreuz“ von César Franck.

Mystik aktuell

Foto: (c) wak

Wachet und betet mit mir!
Meine Seele ist traurig
bis an den Tod.

Wachet und betet mit mir!
Eure Augen
sind voll Schlafes –
könnt ihr nicht wachen?

Ich gehe,
euch mein Letztes zu geben –
und ihr schlaft …
Einsam stehe ich
unter Schlafenden,
einsam vollbringe ich
das Werk meiner schwersten Stunde.

Wachet und betet mit mir!
Könnt ihr nicht wachen?
Ihr alle seid in mir,
aber in wem bin ich?

Was wißt ihr
von meiner Liebe,
was wißt ihr
vom Schmerz meiner Seele?
O einsam!
Einsam!
Ich sterbe für euch –
und ihr schlaft!
Ihr schlaft!

Christian Morgenstern (1871 – 1914)

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Von Sterben und Leben

In Christianes Blog hab ich diese Gedichte entdeckt vom Sterben und Leben. Sie gefallen mir gut. Vor allem das von Arno Holz: Sieben Septillionen Jahre. „.. es wachsen Blumen aus meinem Schädel“, „..Brombeeren ranken über mir“.

Auch der Blümchen verzierte Schädel auf dem Foto gefällt mir.

Mit diesem Tag beginnt die Karwoche … die Heilige Woche (Semana Santa) … so viel Hoffnung, Leben, Sehnsucht, Liebe, Streit und Miteinandersein, Tod und Erlösung … Trauer.

Ich finde diese Gedichte-Sammlung passt perfekt zu diesen Tagen.

Kommt gut durch die Woche.

Irgendwas ist immer

Ausgang.

Immer enger, leise, leise
Ziehen sich die Lebenskreise,
Schwindet hin, was prahlt und prunkt,
Schwindet Hoffen, Hassen, Lieben,
Und ist nichts in Sicht geblieben,
Als der letzte dunkle Punkt.

(Theodor Fontane, Ausgang, aus: Gedichte, 1905, Online-Quelle)

Ueber alle Gräber wächst zuletzt das Gras

Ueber alle Gräber wächst zuletzt das Gras,
Alle Wunden heilt die Zeit, ein Trost ist das,
Wohl der schlechteste, den man dir kann ertheilen;
Armes Herz, du willst nicht, daß die Wunden heilen.
Etwas hast du noch, solang es schmerzlich brennt;
Das Verschmerzte nur ist todt und abgetrennt.

(Friedrich Rückert, Ueber alle Gräber wächst zuletzt das Gras, aus: Kindertodtenlieder aus seinem Nachlasse, Frankfurt a. M. 1872, S. 153, Online-Quelle)

Tränen, Tränen, die aus mir brechen

Tränen, Tränen, die aus mir brechen.
Mein Tod, Mohr, Träger
meines Herzens, halte mich schräger,
daß sie abfließen. Ich will sprechen.

Schwarzer, riesiger Herzhalter.
Wenn ich auch…

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