Heute, am 24.02.2023 jährt sich zum ersten Mal der Tag, an dem Russland seinen Nachbarn, die Ukraine überfiel und das Land mit Krieg, Terror, Mord, Vergewaltigungen, Plünderungen und vielen anderen Verbrechen überzog. Die Bilanz des Krieges, der eigentlich nach Putins Vorstellungen nur ein paar Tage dauern sollte: Weit über 100.000 Tote, mindestens 15.000 vermisste Menschen, über 14 Millionen Menschen auf der Flucht. Unzählbar die Menge der Verletzten, Verwundeten, Verstörten.
Eine Ende ist nicht abzusehen und die Perfidie bei dem, was dort geschieht, scheint keine Grenzen zu kennen.
Nein: Es nützt nichts, dagegen anzusingen, dagegen anzubloggen, dagegen anzudichten und zu schreiben. Auch nicht, gegen den Krieg auf dem Theater zu spielen.
Es ändert nichts. Es ändert nicht mal unser Bewusstsein, denn der Krieg ist in allen klassischen, analogen, digitalen und sozialen Medien allgegenwärtig, auch wenn der Fokus dort hin und wieder auf anderen Inhalten liegt; wir alle wissen, sofern wir es denn wollen, was am Ostrand Europas stattfindet. Und nicht nur dort: Krieg und Elend, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, gegen Menschenwürde und -rechte werden Tag für Tag gemeldet. Aus vielen Ländern. Weiterlesen →
Die Fanbase kann schon Wundersames bewirken. Als das niederländische Online-Magazin metalfan.nl die Frage stellte, welcher Song denn für die Beerdigung der beste sei, stimmten die User für Rammstein. Für Adieu. Bemerkenswert daran: Der Song stand nicht mal in der Vorauswahl, wie man einer Pressemeldung, die im Februar 2023 durch die Szene und die Sozialen Medien ging, entnehmen konnte und Metal-Hammer ein wenig süffisant feststellte: „Für die Macher des Metal-Portals war das Lied offenbar zu langsam. Doch die Fans haben ‘Adieu’ so oft in den Kommentaren zur Umfrage in den Sozialen Medien erwähnt, dass ein Sieg unumgänglich war.“
Das wundert nicht weiter, der Text passt zu dem Anlass perfekt, so gut, dass nach Veröffentlichung des Albums Zeit das Gerücht aufkam, das war’s dann wohl. Rammstein verabschiedet sich, löst sich auf. Weiterlesen →
Ein heißer Sommertag im August 2022. Einige Menschen in dunkler, so ganz und gar dem Wetter unangepasster Kleidung steigen aus der U-Bahn Implerstraße in München-Sendling. Allein oder zu zweit folgen sie der Straße, biegen ab, auf dem Vorplatz der Sendlinger Himmelfahrtskirche gesellen sie sich zu anderen, die dort bereits warten. Einer davon ich. Wir begrüßen einander: Ehemalige Kollegen, Bekannte, Fremde. Es gilt Abschied zu nehmen von einem Kollegen mit dem ich zwanzig Jahre zusammengearbeitet habe. Zeitweilig haben wir Tür an Tür gesessen, viele Mittagspausen miteinander verbracht, auch Geschäftsreisen. 2019 ging er in Rente, 2022, nur drei Jahre danach, erreichte uns die Todesnachricht. Während der sehr emotionalen und sehr schön gestalteten Trauerfeier greift die Tochter ihre Gitarre und stimmt ein Lied von Sarah Connor an.
Mit ruhiger Stimme singt die junge Frau ein Lied, gefasst, zumindest in diesem Augenblick, für viele Trauergäste ist das der wohl ergreifendste, emotionalste Moment des Gottesdienstes.
Während die Tochter Zeile um Zeile von ihrem Vater Abschied nimmt und ihn auf ganz wunderbare Weise würdigt, schnürt es vielen von uns (noch einmal) das Herz zusammen. Weiterlesen →
Da wacht morgens einer auf, spürt eine Eiseskälte in sich und eine schmerzhafte Einsamkeit eines verlassenen Menschen. Und er entscheidet sich angesichts dieser endlosen Leere und Stille in sich, seinem Leben ein Ende zu setzen.
So besingt es John Lees – Leadsinger und Kopf der britischen Rockband Barclay James Harvest in dem Song Suicide, veröffentlicht auf der LP Octoberon 1976. Barclay James Harvest dürfte den Älteren noch vertraut sein – lieferten die Briten doch die perfekte Musik, um in den Discos (so hieß das damals) das Licht runterzufahren, damit in der schummrigen Beleuchtung heftig geklammert werden konnte. Wer achtete da schon auf die Texte zum Beispiel von Poor Man’s Moody Blues, in dem eigentlich der gleiche Seelenschmerz besungen wird wie in Suicide?
Suicide? beschreibt die letzten Momente im Leben eines Menschen, der seinem Leben ein Ende setzen will, mit dem Fahrstuhl auf das Dach eines hohen Hauses fährt, dort am Sims steht – und schließlich springt…
Strick ich’s totenhemd, strick ich’s totenhemd schon freu ich mich auf dich. O du mein totenhemd, mein totenhemd, mein totenhemd, o du mein totenhemd, mein totenhemd bist du!
Seh ich’s totenhemd, seh ich’s totenhemd verlieb ich mich in dich. O du mein totenhemd, mein totenhemd, mein totenhemd, o du mein totenhemd, mein totenhemd bist du! Hier bei Hiltrud weiterlesen.
Stephan Sulke war immer so etwas wie ein Außenseiter und gleichzeitig einer, der sich nur schwer in irgendeine Kategorie stecken ließ. War er Liedermacher? Chansonnier, Schlagersänger?
Und überhaupt: Gibt es den überhaupt noch?
Ja, es gibt ihn noch, oder wieder. Zumindest gibt es eine offizielle Webseite von ihm, die – auch wenn ohne aktuelle Termine – ziemlich aktuell ist. Gelegentlich erscheint ein Tonträger von ihm, mittlerweile steht er kurz vor seinem 80ten Geburtstag. Den Höhepunkt seiner Karriere hatte er in den frühen 80ern, als die Liedermacher eine besonders gewichtige Rolle in der deutschen Populärmusik einnahmen. Aber so richtig gehörte er nie dazu – dazu war er nicht politisch genug, vielleicht ein wenig zu melancholisch, zu sentimental, zu nah am Schlager, zu oft auch in der Playlist der großen Radiosender, die Sulke spielten, aber nicht Wader oder Wecker. Vielleicht auch hatten die größten Erfolge Der Mann aus Russland und vor alle Uschi zu wenig Tiefgang, vor allem zweitgenannter Titel rückte ihn fast in die Ecke der klamaukigen Interpreten. Der Mann aus Russland – soweit noch als Randbemerkung – hört sich über 40 Jahre nach seiner Entstehung befremdlich und kolossal naiv an. Und falsch noch dazu, weil Kiew und Minsk, von denen der besungene Mann als Stätten seiner Heimat so schwärmt, gar nicht zu Russland gehören.
Schlagersänger war Sukle aber auch nicht – zu düster teilweise die Texte, zu wenig Frohsinn.
„Meine Musik war immer eine Mischung aus Sarkasmus, Melancholie und etwas Blödelei“ charakterisierte er sein Schaffen einst in einem Interview.
Und so pendelte der Mann mit der überaus weichen, sanften Stimme zwischen den Genres, gewann das Herz vor allem weiblicher Fans wegen dieser Sanftheit und Einfühlsamkeit – und nicht zuletzt wegen eines sehr eigentümlichen Gesangstils, zwischen einzelnen Wörtern ganz kurze Pausen zu machen. Die waren nie so lang, dass sie den Takt gestört hätten, aber nie so kurz, dass man sie nicht bemerkt hätte – vor allem aber waren sie immer dort platziert, wo man sie nicht erwartet hätte; zumeist mitten in der Zeile. Das verschaffte der Musik einen Anstrich von Nachdenklichkeit, so als sinniere der Sänger darüber, ob er wohl die richtigen Worte gewählt habe, die er gleich ins Mikro singen würde.
1979 veröffentlichte Sulke seine vierte LP, die einfach nur seinen Namen Stephan Sulke 4. Darauf enthalten ist das Lied Heut seid ihr alle eingeladen.
Gibt es ein besseres Beispiel, um zu zeigen: Das ist nicht Schlager?
Wenn sich einer von seinen Feinden wie den Kameraden verabschiedet, sagt, er wäre gern noch geblieben, verlasse aber nun das Jammertal, dann ist – auch wenn es nicht explizit so gesagt wird – von einem Abschied auf Immer die Rede. Und damit ist mitnichten ein Ortsteil Solingens gemeint, der tatsächlich Jammertal heißt, sondern ganz der christlichen Tradition folgend das irdische Leben allgemein. Wie Reinhard Meys Wie ein Baum, den man fällt war auch Sulke in den Dreißigern, als er das Lied schrieb und sang. Es erschien fünf Jahre nach Meys Gedanken zum Sterben. Das Thema lag wohl in der Luft.
Hier der Text:
Heut seid ihr alle eingeladen, Wo seid ihr nur so lang geblieben? Die Feinde und die Kameraden, Mein Leben habt doch ihr geschrieben.
Heut seid ihr alle eingeladen, Mir scheint ihr wollt schon von mir eilen. Ihr zieht davon so wie Nomaden, Wollt ihr nicht noch etwas verweilen.
Und ihr sollt froh sein, Ich verlass das Jammertal. Nur die Straßen und die Felder Und die Städte und die Wälder Und euch alle seh ich gern noch tausend Mal.
Heut seid ihr alle eingeladen, Heut weckt der Frühling seinen Flieder. Erzählt mir nochmals die Balladen, Und singt mir nochmals meine Lieder.
Und ihr sollt froh sein, Drüben sei ein besseres Land, Nur die Schläge und die Kriege Und die Zweifel und die Siege Und die Hoffnung hab ich alle gern gekannt.
Heut seid ihr alle eingeladen, Ich hab euch lang bei mir getragen, Doch langsam reißt der letzte Faden, Und ich hätt noch so viel zu fragen.
Was bringt einen 32jährigen dazu, Lieder über das eigene Sterben zu schreiben und zu singen? Was, sich zu wünschen, wie es denn sein soll, wenn man gehen muss?
Ja, die Gedanken sind verständlich, auch der Wunsch, sich die Art und Weise des eigenen Todes aussuchen zu können und sich im Hier und Jetzt vielleicht ein wenig romantisch verklärt auszumalen, was dann passieren könnte und wie man das empfindet. Wie gehen, wenn man gehen muss – das beschäftigt viele Menschen, mich eingenommen. Aber ich denke, als ich 32 war, stellte sich mir die Frage nicht.
Das Lied aber, um dass es hier geht, das kannte ich. So wie viele deutschsprachigen Lieder, die in den 70ern und frühen 80ern entstanden. Denn es war die ganz große Zeit der Liedermacher. Die Szene speiste sich aus Polit- und Protestsängern, aus Bänkel- und Blödelbarden, aus Poeten und Literaten, Kabarettisten, Deutschrockern und Chansonniers. Singer Songwriter würde man heute wohl zu den meisten sagen.
Schlagersänger versuchten sich mit Ernsthaftigkeit, mit echten Gefühlen weit jenseits der Herz-/Schmerz Romantik und Lyrik der ZDF Hitparade.
Ihre Namen: Georg Danzer, Wolf Biermann, Konstantin Wecker, Franz-Josef Degenhardt, Erika Pluhar, Dieter Süverküp, Hans Scheibner, Hannes Wader, Bettina Wegner, Ina Deter, Hermann van Veen, Klaus Hoffmann, Andre Heller, Stephan Sulke und eben Reinhard Mey.
Meine Freundin sagte: „Das ist für deinen Blog“. Wir waren gestern beim Jazz im Palmengarten und hörten Thärichens Tentett. Diesen Song muss ich euch jetzt vorstellen. Sehr sehr schön morbide. Enjoy. Dubidooooo. Und zum Schluss sangen wir alle gemeinsam:
„Denn niemand kann uns dann mehr unterscheiden.“
Ich hab dir heut ein Grab gekauft, aus dem Album: Thärichens Tentett: No Half Measures (Laika / Rough Trade)
Die Älteren erinnern sich vielleicht noch, vor allem die Menschen, die in der DDR groß geworden sind – vielleicht auch einige, mit tiefergehendem cineastischen Wissen und Interesse.
1973 kam in der DDR Heiner Carows Film Die Legende von Paul und Paula in die Kinos. Viel Diskussionen und Streit gab es darum. der Film sollte eigentlich gleich unter Verschluss genommen werden, aber Erich Honecker gab persönlich seinen Segen, dass der Film gezeigt werden konnte. Es wurde ein Riesenerfolg in der DDR, über 3 Millionen Zuschauer lockte er in die Kinos. Unzählige Male wurde er bis in die 80er auch im Fernsehen gezeigt, erst als die Hauptdarstellerin Angelica Domröse und der Hauptdarsteller Winfried Glatzeder in den Westen gingen, verschwand der Film von den Bildschirmen.
Für Regisseur Heiner Carow war er der große Durchbruch, der ohnehin schon populäre Drehbuchautor Ulrich Plenzdorf, der im Jahr zuvor Die neuen Leiden des jungen W. veröffentlicht hatte, zeigte erneut sein Talent, die Lebensumstände der jungen Nachkriegsgeneration in die Literatur zu überführen.
Und für noch jemanden war der Erfolg des Films der ganz große Durchbruch: Die junge Berliner Band Puhdys, die zwei Songs beisteuerten. Einer wurde erst in der DDR, dann auch in der Bundesrepublik ein großer Hit, der Eröffnungssong des Film Wenn ein Mensch lebt. Bis heute gehört der Song zu meinen absoluten Lieblingsliedern, ist in einigen meiner Spotify-Playlists, was dazu führt, dass ich ihn sehr oft höre und bisweilen lautstark im Auto mitgröle.
Natürlich nur, wenn ich allein bin.
Und noch vor einigen Jahren heimste ich diverse anerkennende Blicke ein von Menschen meines Semesters, die in der DDR groß geworden sind. Sie waren überrascht, dass es auch Westler (wie ich einer bin) gibt, die dieses Lied kennen, die überhaupt davon Kenntnis haben, was einst hinter der Mauer an Pop(ulärer)-Kultur entstand und das auch noch mögen.
Jaqcues Brels 1961 veröffentlichtes Chanson Le Moribond gehört zu den vermutlich bekanntesten Liedern über das Sterben.
Der Inhalt in aller Kürze: Ein Sterbender verabschiedet sich: Zunächst von Émile, seinem besten Freund, dann vom Pfarrer, als Nächstes von Antonie, dem Liebhaber seiner Frau und schließlich von seiner untreuen Frau selbst. Wer es nachlesen will: Eine freie, gute deutsche Adaption des Textes ist hier zu lesen.
Brels sehr schneidige, zackige Version allerdings wurde nicht zum Welthit. Das sollte noch mehr als zehn Jahre auf sich warten lassen: Weiterlesen →