von Annegret entdeckt:
Archiv der Kategorie: 6. November-Blogaktion
Stolze Witwe Steffi mit der Urne im Arm
Steffi ist einverstanden, dass ich über Joschis Trauerfeier schreibe. „Ich wollte das steife übliche Rituell nicht. Ich wollte es anders. Und ja wir müssen drüber sprechen, damit es anders wird“, antwortete sie mir. Ich freue mich über eine Trauerfeier schreiben zu können, die im September auf dem Münchner Waldfriedhof stattfand.
Allein wie Steffi mit der selbstbemalten Urne souverän und stolz am „Meeting-Point“ stand und auf ihre Gäste wartete, berührte mich sehr. Ich verstand es als ein Signal. Es geht anders: Die Urne von den Kindern und ihr selbst bemalt, sie im luftigen Sommerkleid und Highheels, die Urne mit Joschis Asche im Arm, die sie zum Grab trug.
Das war schön! Berührend! Anders!
„Please come colourful“, stand auf der Einladung. Eine bunte Gästeschar war angereist. Wir spazierten einen langen Weg über den Friedhof. Das Grab war wunderschön hergerichtet mit vielen bunten Blumen. Ein Mikrofon war installiert für die Trauerrednerin und die Musikerinnen. Es regnete nicht. Wir hatten wunderschönes Wetter. Wir weinten, wir lachten, wir hörten zu, wir lauschten den Geräuschen aus dem Wald.
WeiterlesenSarah: Ich hab das große Glück …
… ich darf Rituale finden. Immer wieder neu. Mit den Familien. Den Angehörigen. Mit Kindern, die ihre Eltern vermissen. Die noch einmal mit ihnen auf eine letzte Flasche Cola anstoßen. Mit Söhnen, die lachen, weil sie sich an das letzte Grillfest erinnern und sagen: „Und dieses Jahr erst recht – auch wenn Papa nicht mehr dabei ist.“ Ich darf mit Enkeln Steine und Blumen rund um die Urne legen, darf um Omas beste Nusseckenrezepte feilschen und ihr dann auf den Sargdeckel bunte Bilder kleben. Ich darf Lieder singen, obwohl alle anderen nicht dürfen – und ich sing sie für sie. Mit manchen darf ich mitweinen, weil ihre Geschichte ein Stück weit meine geworden ist. Oder längst schon war. Ich darf mit ihnen reden, schreiben, an Gräbern stehen und hinterher gemeinsam Kuchen essen. Auch wenn ich immer die Käsebrote bekomme – das ist der Deal. Streuselkuchen mag ich nicht so gern – das wissen mittlerweile viele schon. „Ach, Sie essen ja kein Wurschtenbrot und Kuchen mögen Sie auch nicht. Sie machen ja Sport.“
Dieses Jahr aber, da durfte ich noch so viel mehr als all dies. Und auch wenn ich es für kein großes Glück halte – ich bin dennoch dankbar. Weil sie mich wachsen ließen. Mir Grenzen zeigten. Mich verändert haben. Mich neben all den Sprachlosigkeiten in diesem Jahr um Worte ringen ließen. Und mich im Nachhinein als gesegnet zurückgelassen haben.
Das eine: Ich durfte die erste Beisetzung auf einem Friedhof gestalten, der nun auch noch zu meinem Seelsorgegebiet gehört. Auf demselben Friedhof, direkt das Grab neben jener ersten Beisetzung, da steht eine Figur eines Motorrads. Das Model habe ich dort hingestellt – vor Jahren schon. Es ist eine Erinnerung an die gemeinsamen Ausflüge, die mein Papa und ich vor wenigen Jahren noch mit seinem echten „Mopped“ gemeinsam gemacht haben. Er ist gefahren – ich hinten drauf. Eigentlich ist sein Grab bisher für mich nie ein Ort des Trostes gewesen. Kein Ort, an dem ich ihn finden konnte. Aber seit diesem Jahr ist es anders. Seit diesem Moment schon. Und ich freue mich bereits, wenn auch ich ihm am 22.11. neben all den anderen, die an diesem Tag ein Kerzchen um uns herum auf das Grab ihrer Angehörigen stellen, ebenfalls eines bringen kann. Dann bin ich eine von ihnen. Eine, die erinnert, lacht, vermisst, weint und versöhnt(er) ist.
Digitale Gedenkfeier für einen Kollegen
Mein Kollege M. starb unerwartet. Wir hatten uns alsbald auf einen Kaffee verabreden wollen, nachdem er lange und schwer krank gewesen war. Die Fäden wieder aufnehmen wollen von freundschaftlicher Unterstützung und kollegialem Austausch.
Er gehörte zu den Gründungsmitgliedern eines Netzwerks, das ich sehr schätze. Ich wurde gebeten, im Rahmen eines digitalen Netzwerktreffens eine kleine Gedenkfeier zu halten. Zum Glück bin ich im Gestalten von Zoom-Veranstaltungen inzwischen sehr geübt und hatte in den Wochen zuvor viel Online-Zeit in meiner Impro-Community von InterPlay.org verbracht.
Ich eröffnete das Gedenken mit diesem Text von Konstantin Wecker, weil unser Kollege selbst gern Wecker hörte und spielte. Bewusst nur den Ton. Schließlich war dies keine K.Wecker Gedenkveranstaltung. Irgendwann teilte ich auch noch eine Collage mit einem Bild von M. und einem Himmelsfoto, das ich diesen Sommer eingefangen hatte.
Ich zündete eine Kerze an und hob das Tässchen Kaffee in die Kamera, das er ganz grundsätzlich, gern und überall trank. Lud die anderen ein, den nächsten Kaffe auf unseren Kollegen zu trinken. Dann hielt ich noch ein Buch hoch, das er als wichtiges inhaltliches Vermächtnis hinterlässt.
In einer Improvisation, die zwischen Bewegung und Erzählen wechselte, erinnerte ich mich an M., beklagte all das unvollendete, sprach ihn auch direkt an. Das hat mich selbst überrascht.
Ich lud die anderen ein, in kleinen Gruppen für etwa 10 Minuten immer nacheinander im Wecshel in folgender Weise aufzuzählen: „Ich könnte erzählen wie M. …“ und dann gab ich Beispiele, wie dieser Satz in einem Satz ergänzt werden könnte. Wenn Zeit war, wurde sicher die ein oder andere Erinnerung mit mehr Sätzen aufgefüllt. Aber so kamen in kurzer Zeit viele zum Zuge und selbst das kurze Benennen der Erinnerungen ließ kleine Welten aufblitzen.
Wieder zurück in der Gruppe lud ich ein, noch einen Satz der Würdigung unseres Kollegen in den Chat zu schreiben. Ich gab wieder selbst ein Beispiel, sagte, dass diese ohne Namen zusammengestellt und evtl. auf der Webseite des Netzwerks veröffentlicht werden. Während wir schrieben, ließ ich (wieder nur den Ton) von YouTube ein abschließendes Lied von Konstatin Wecker spielen.
Ich schloss mit einem Segen.
Viele Kolleg*innen haben mir hinterher geschrieben, dass sie sehr berührt waren und froh, dass sie auf diese Weise einen Ort des gemeinsamen Gedenkens hatten.
Mich hat besonders gefreut – und es hat mir gutgetan, dass wir über diese kleine Form der geteilten Erinnerungen so viel von M. einfangen und teilen konnten, was ihn ausgemacht hat und dass wir es in unseren eigenen Worten tun konnten.
Ein Beitrag zu unserer Blogaktion im November 2020 zu Ritualen des Abschieds in der Corona-Zeit.
Anja: nicht mit Dir und nicht ohne Dich
„Da ist er wieder … dieser Jahrestag… vor 6 Jahren hast du dich von dannen gemacht und der Tod war so präsent und schmerzhaft, uff.“
Lest in Anjas Blog weiter über ihren heutigen Tag.
Buchtipp: Reden wir über das Sterben
Ich habe ein Rezensionsexemplar vor mir liegen. Die Ärztin und Patientin schrieb ihr Vermächtnis vor ihrem Tod: Kathryn Schneider-Gurewitsch. REDEN WIR ÜBER DAS STERBEN. Sie lebte von 1951 bis 2014 und wurde 63 Jahre alt. Sie hatte verschiedene Krebserkrankungen. In ihrem Buch erzählt sie über ihre Lage als Patientin, die als Ärztin „durchblickt“, sich gegen gängige Meinungen und Therapien entscheidet, eigene Wege geht und nebenbei ehrgeizige Projekte weiterverfolgt. Privat genauso wie beruflich.
Sie schreibt, sie habe etwas zu sagen: „Irgendwann packte mich der Gedanke, meine Erfahrungen als Patientin und Ärztin und meine sich daraus ergebenden Überzeugungen insbesondere zu Fragen am Lebensende zu Papier zu bringen“.
Die Autorin schrieb diese Widmung für ihren Sohn Julian Anatol.
„Times get rought, and they sure will.
I will be there watching from above. Always.
Keep living! Enjoy it.
Make the best of it. You only have this one life“.
Das Buch ist in 8 Kapitel eingeteilt:
- Einleitung
- Was wir uns wünschen, was wir bekommen
- Grenzen des Machbaren: Auswege, Irrwege
- Welche Rolle das Geld spielt
- Die Patientenverfügung
- Hilfe beim Sterben
- Das gute Sterben
- Letzte Geschenke
Was mir an diesem Buch gefällt: es ist informativ und sachlich. Es ist sehr unterstützend und hilfreich, vor allem wenn man an einer Krebserkrankung leidet. Im Falle einer Erkrankung würde ich mir dieses Buch schnappen und wieder darin lesen! Die Autorin schreibt vor allem über die medizinische Seite aus Sicht der Patientin mit ihrem Wissen als Ärztin. Sie stemmt sich mehrmals gegen Therapien, die man „üblicherweise“ macht. Sie erkennt, dass sie eine extrem teure Behandlung bekommen könnte, die Hochdosis-Chemotherapie und Stammzelltransplantation. Dies wollte sie sich aber nicht mehr zumuten. Ein Medikament aus US dagegen, das sie auswählt und nehmen möchte, das ihr mehr Lebensqualität schenken würde, wird von ihrer Krankenkasse nicht genehmigt.
WeiterlesenTrauer im Internet
Ich möchte euch heute einen Link zum Lesen geben. Am 25. Oktober hab ich ihn in der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung entdeckt. Die Headline im Papier: Gedenkstätte Timeline.
„Längst nutzen Menschen die sozialen Medien auch, um Trauer zu teilen. Das macht den Tod sichtbarer – die Angehörigen allerdings auch verletzlicher“ – von Matthias Kreienbrink.
Ich denke, gerade jetzt seitdem wir mit Corona veränderte Bestattungsbedingungen vorfinden und nicht mehr alle frei reisen können, oder nur eine Mindestanzahl Trauergäste gestattet ist, ist die „Gedenkstätte Timeline“ jetzt wichtiger denn je. Mit anderen im Netz trauern, damit die Trauer um einen lieben Menschen oder die Einsamkeit geteilt werden kann, ist sicher nur ein Grund und sehr tröstlich.
Wie denkst Du? Wie denkt Ihr? Ist das eine mögliche Form, die dir gefällt? Würdest du es gleich tun? Ich habe darüber nachgedacht, was wäre, wenn beispielsweise meine Mutter sterben würde. Ich tendiere zu einem JA, weil ich mir verspreche, damit mehr Menschen zu erreichen, die zum Beispiel nicht zur Trauerfeier reisen konnten. Ich müsste es aber auch kommunizieren, damit die Internet-Gedenkstätte gefunden wird.
WeiterlesenAbschied nehmen versus sich erinnern: Susannes Mutter starb plötzlich
Susannes Mutter ist vor einigen Wochen plötzlich gestorben. Ihr Tod kündigte sich keine Sekunde vorher an. Plötzlich war sie tot. Susanne und ihre Töchter waren geschockt und konnten es erstmal gar nicht fassen.
Ich fragte Susanne vorgestern ob ich über ihre Erfahrung schreiben darf. Heute erzählte sie mir alles und ich bedanke mich sehr bei ihr für ihr Vertrauen. Sie ist froh, dass ich sie gefragt habe, denn sie meint, es müsse sich in unserer Beerdigungs- und Trauerkultur etwas verändern. Weg vom Üblichen hin zu etwas Neuem, Authentischem. Abschied nehmen ja, aber nicht so todtraurig. Natürlich ist der Körper tot, wird verbrannt oder begraben. Aber die Erinnerung an den geliebten Menschen, das „sich erinnern“ das ist was zählt und was trägt. Das ist, was für Susanne im Mittelpunkt steht.
Zunächst musste sie sich um die Wohnung kümmern, auf- und ausräumen und die Beerdigung organisieren. Susanne erzählt mir, dass ihr die Fotoalben ihrer Mutter aber auch Briefe der Liebhaber ihr einen neuen Blickwinkel auf ihre Mutter schenkten. Sie musste über so manches lachen neben ihrer Trauer. Susannes Mama war ein umtriebiger Mensch, die gerne andere mitriss und begeisterte. Sie war neugierig auf das Leben und hat es ausgekostet.
Alle Novembertermine in der Übersicht mit unseren Autor*innen der November-Blogaktion
Sonntag, 1.11.
Montag, 2.11. Annegret: Verbundenheit – Mein Hausaltar
Dienstag, 3.11.
Mittwoch, 4.11. Abschied nehmen versus sich erinnern: Susannes Mutter starb plötzlich
Donnerstag, 5.11. Martina Fuchs: Der Briefkasten
WeiterlesenNovember-Blogaktion: Abschied nehmen: Meine und unsere tradierten und spontanen Rituale

Päcken mit Kerze und Texten, Zoom-Trauerfeiern, Kastanienherzen auf dem Grab des Freundes, Slam-Poetry im Netz, Sarggeschichten für Coronazeiten …
Wir möchten euch wieder zum Mitschreiben anstiften! Zwischen Sonntag, dem 1. bis Freitag, dem 27. November laden wir euch ein, Erfahrungen und Ideen mit uns und unseren Leser*innen zu teilen.
Diesmal soll es um Sterbe- und Trauerrituale unter Corona-Bedingungen gehen. Die Pandemie hat auch unsere Trauerrituale durcheinander gebracht. Beerdigungen durften anfangs nur mit 5 Personen stattfinden. Angehörige aus anderen Ländern konnten nicht anreisen. Wie nimmt man all diejenigen, die nicht dabei sein dürfen, mit? Wie sorge ich für mich selbst? Welche Rituale zeig(t)en sich, wenn das Gewohnte nicht geht? Wie kommt man zusammen, wenn man nicht an einem Platz sein darf?
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