… ich darf Rituale finden. Immer wieder neu. Mit den Familien. Den Angehörigen. Mit Kindern, die ihre Eltern vermissen. Die noch einmal mit ihnen auf eine letzte Flasche Cola anstoßen. Mit Söhnen, die lachen, weil sie sich an das letzte Grillfest erinnern und sagen: „Und dieses Jahr erst recht – auch wenn Papa nicht mehr dabei ist.“ Ich darf mit Enkeln Steine und Blumen rund um die Urne legen, darf um Omas beste Nusseckenrezepte feilschen und ihr dann auf den Sargdeckel bunte Bilder kleben. Ich darf Lieder singen, obwohl alle anderen nicht dürfen – und ich sing sie für sie. Mit manchen darf ich mitweinen, weil ihre Geschichte ein Stück weit meine geworden ist. Oder längst schon war. Ich darf mit ihnen reden, schreiben, an Gräbern stehen und hinterher gemeinsam Kuchen essen. Auch wenn ich immer die Käsebrote bekomme – das ist der Deal. Streuselkuchen mag ich nicht so gern – das wissen mittlerweile viele schon. „Ach, Sie essen ja kein Wurschtenbrot und Kuchen mögen Sie auch nicht. Sie machen ja Sport.“
Dieses Jahr aber, da durfte ich noch so viel mehr als all dies. Und auch wenn ich es für kein großes Glück halte – ich bin dennoch dankbar. Weil sie mich wachsen ließen. Mir Grenzen zeigten. Mich verändert haben. Mich neben all den Sprachlosigkeiten in diesem Jahr um Worte ringen ließen. Und mich im Nachhinein als gesegnet zurückgelassen haben.
Das eine: Ich durfte die erste Beisetzung auf einem Friedhof gestalten, der nun auch noch zu meinem Seelsorgegebiet gehört. Auf demselben Friedhof, direkt das Grab neben jener ersten Beisetzung, da steht eine Figur eines Motorrads. Das Model habe ich dort hingestellt – vor Jahren schon. Es ist eine Erinnerung an die gemeinsamen Ausflüge, die mein Papa und ich vor wenigen Jahren noch mit seinem echten „Mopped“ gemeinsam gemacht haben. Er ist gefahren – ich hinten drauf. Eigentlich ist sein Grab bisher für mich nie ein Ort des Trostes gewesen. Kein Ort, an dem ich ihn finden konnte. Aber seit diesem Jahr ist es anders. Seit diesem Moment schon. Und ich freue mich bereits, wenn auch ich ihm am 22.11. neben all den anderen, die an diesem Tag ein Kerzchen um uns herum auf das Grab ihrer Angehörigen stellen, ebenfalls eines bringen kann. Dann bin ich eine von ihnen. Eine, die erinnert, lacht, vermisst, weint und versöhnt(er) ist.