Stephan Sulke war immer so etwas wie ein Außenseiter und gleichzeitig einer, der sich nur schwer in irgendeine Kategorie stecken ließ. War er Liedermacher? Chansonnier, Schlagersänger?
Und überhaupt: Gibt es den überhaupt noch?
Ja, es gibt ihn noch, oder wieder. Zumindest gibt es eine offizielle Webseite von ihm, die – auch wenn ohne aktuelle Termine – ziemlich aktuell ist. Gelegentlich erscheint ein Tonträger von ihm, mittlerweile steht er kurz vor seinem 80ten Geburtstag. Den Höhepunkt seiner Karriere hatte er in den frühen 80ern, als die Liedermacher eine besonders gewichtige Rolle in der deutschen Populärmusik einnahmen. Aber so richtig gehörte er nie dazu – dazu war er nicht politisch genug, vielleicht ein wenig zu melancholisch, zu sentimental, zu nah am Schlager, zu oft auch in der Playlist der großen Radiosender, die Sulke spielten, aber nicht Wader oder Wecker. Vielleicht auch hatten die größten Erfolge Der Mann aus Russland und vor alle Uschi zu wenig Tiefgang, vor allem zweitgenannter Titel rückte ihn fast in die Ecke der klamaukigen Interpreten.
Der Mann aus Russland – soweit noch als Randbemerkung – hört sich über 40 Jahre nach seiner Entstehung befremdlich und kolossal naiv an. Und falsch noch dazu, weil Kiew und Minsk, von denen der besungene Mann als Stätten seiner Heimat so schwärmt, gar nicht zu Russland gehören.
Schlagersänger war Sukle aber auch nicht – zu düster teilweise die Texte, zu wenig Frohsinn.
„Meine Musik war immer eine Mischung aus Sarkasmus, Melancholie und etwas Blödelei“ charakterisierte er sein Schaffen einst in einem Interview.
Und so pendelte der Mann mit der überaus weichen, sanften Stimme zwischen den Genres, gewann das Herz vor allem weiblicher Fans wegen dieser Sanftheit und Einfühlsamkeit – und nicht zuletzt wegen eines sehr eigentümlichen Gesangstils, zwischen einzelnen Wörtern ganz kurze Pausen zu machen. Die waren nie so lang, dass sie den Takt gestört hätten, aber nie so kurz, dass man sie nicht bemerkt hätte – vor allem aber waren sie immer dort platziert, wo man sie nicht erwartet hätte; zumeist mitten in der Zeile. Das verschaffte der Musik einen Anstrich von Nachdenklichkeit, so als sinniere der Sänger darüber, ob er wohl die richtigen Worte gewählt habe, die er gleich ins Mikro singen würde.
1979 veröffentlichte Sulke seine vierte LP, die einfach nur seinen Namen Stephan Sulke 4. Darauf enthalten ist das Lied Heut seid ihr alle eingeladen.
Gibt es ein besseres Beispiel, um zu zeigen: Das ist nicht Schlager?
Wenn sich einer von seinen Feinden wie den Kameraden verabschiedet, sagt, er wäre gern noch geblieben, verlasse aber nun das Jammertal, dann ist – auch wenn es nicht explizit so gesagt wird – von einem Abschied auf Immer die Rede. Und damit ist mitnichten ein Ortsteil Solingens gemeint, der tatsächlich Jammertal heißt, sondern ganz der christlichen Tradition folgend das irdische Leben allgemein.
Wie Reinhard Meys Wie ein Baum, den man fällt war auch Sulke in den Dreißigern, als er das Lied schrieb und sang. Es erschien fünf Jahre nach Meys Gedanken zum Sterben. Das Thema lag wohl in der Luft.
Hier der Text:
Heut seid ihr alle eingeladen,
Wo seid ihr nur so lang geblieben?
Die Feinde und die Kameraden,
Mein Leben habt doch ihr geschrieben.
Heut seid ihr alle eingeladen,
Mir scheint ihr wollt schon von mir eilen.
Ihr zieht davon so wie Nomaden,
Wollt ihr nicht noch etwas verweilen.
Und ihr sollt froh sein,
Ich verlass das Jammertal.
Nur die Straßen und die Felder
Und die Städte und die Wälder
Und euch alle seh ich gern noch tausend Mal.
Heut seid ihr alle eingeladen,
Heut weckt der Frühling seinen Flieder.
Erzählt mir nochmals die Balladen,
Und singt mir nochmals meine Lieder.
Und ihr sollt froh sein,
Drüben sei ein besseres Land,
Nur die Schläge und die Kriege
Und die Zweifel und die Siege
Und die Hoffnung hab ich alle gern gekannt.
Heut seid ihr alle eingeladen,
Ich hab euch lang bei mir getragen,
Doch langsam reißt der letzte Faden,
Und ich hätt noch so viel zu fragen.
Heut seid ihr alle eingeladen …