Von Plastinaten und Bauernschädeln

Immer wenn der Mediziner und Anatom Gunther von Hagens eine seiner Körperwelten Ausstellungen ankündigt, in denen er plastinierte menschliche Körper zeigt, ist es nicht weit hin bis zur Entrüstung und Empörung. Seit den 90er Jahren wird darüber immer wieder diskutiert, ob die Ausstellung plastinierter Toter einen Akt künstlerischer Freiheit darstellt oder ob dies mit der Menschenwürde oder gar der Störung der Totenruhe unvereinbar sei.
Entsprechend oft wurden Gerichte bemüht, die das juristisch zu klären hatten, wobei die öffentliche Debatte weitaus weniger von juristischen Fragen als von moralischen geprägt war. Angefangen von der Herkunft der Leichen bis zur öffentlichen Zuschaustellung, was bei nicht wenigen Menschen erhebliches Unbehagen auslöst. Denen aber darf man durchaus die Freiheit einräumen, solche Ausstellungen gar nicht erst zu besuchen und sich nicht weiter damit auseinanderzusetzen. Das sollte eigentlich reichen.
Aber wie das mit Entrüstung und Empörung nun mal ist – die betreffenden Personen meinen ja oft, gleich für alle anderen mitbestimmen zu müssen, was gut und richtig ist. Und was eben nicht.
Dass nicht selten die eigentliche Triebfeder dieser Empörungen eine ganz andere ist, hat der Philosoph Philipp Hübl in seinem gleichnamigen Buch Moralspektakel ganz wunderbar beschrieben: Es geht vielleicht gar nicht so sehr um den konkreten Fall. Es geht in erster Linie darum, eine Bühne gefunden zu haben, um sich als ein moralischer (besserer) Mensch zu präsentieren. Warum sollte sonst einer juristisch versuchen, eine solche Ausstellung zu verhindern?
Davon vollkommen ungeachtet liegen überall Tote bzw. deren Überreste herum und werden öffentlich zur Schau gestellt, sogar angebetet, aber das ist natürlich etwas anderes. Das dienst ja nicht dem Voyeurismus sondern der religiösen Kontemplation.
Gemeint sind die Gerippe der Heiligen in den gläsernen Schreinen in dutzenden katholischer Kirchen.

Nun kommt ja niemand hierher, um sich ebendiese anzuschauen. Es geht im besten Fall um religiöse Aktivitäten wie Andacht, Gebet, Gottesdienstbesuch oder zumindest um Interesse an der Sehenswürdigkeit insgesamt.
Die Wallfahrtskirche Marienberg bei Burghausen ist ein wunderbares Beispiel dafür.
Über der Salzsach thront sie wuchtig wie imposant auf einer Anhöhe. 1760 wurde sie errichtet nach einer wechselvollen Geschichte einer Kirche, die zuvor an diesem Platz stand.

Heute wird sie Perle des Salzachtals genannt, nicht zu Unrecht, denn die Kirche Maria Königin des Rosenkranzes, wie sie offiziell heißt, ist wirklich ein höchst beeindruckendes Gesamtkunstwerk. Dabei wäre sie 1815 während der Säkularisation fast abgebrochen worden, nur der Protest der Bevölkerung rettete dieses Rokokojuwel vor der Zerstörung.

Die Gebeine vier Toter sind in den jeweiligen Seitenbereichen in den Altaren des kreuzförmigen Kirchenbaus zu sehen. Prunkvoll gekleidet, der Schädel in einem hauchdünnen Netz.

Hier empört oder entrüstet sich niemand, hier wird weder von der fortgesetzten Totenruhe geredet noch von einer Verletzung der Menschenwürde der Verstorbenen, geschweige denn vom Verstoß gegen geltende Bestattungsgesetze.
Mal ganz unabhängig, wer da nun liegt und ob es sich um die echten Gebeine Heiliger handelt spekuliere ich mal, dass keiner der hier zur Schau gestellten Personen zu Lebzeiten eine Einwilligung darüber gegeben hat, dass genau dies mit seinen sterblichen Resten passieren wird.

Nun ist es müßig, darüber einen Streit zu beginnen, nicht mal eine Diskussion anzufangen, ob diese öffentliche Präsentation von Leichen(teilen) juristisch grundsätzlich anders zu beurteilen ist als zum Beispiel die Plastinate von Gunther von Hagens, ob das Zeigen eines Gerippe hinter Glas anderen Kriterien unterliegt als das Zeigen eines echten Gerippes, dass sich in der Biologiesammlung einer Schule befindet.
Alles andere ist eine Frage der Moral.

Und die ist bekanntlich dehnbar. Nicht, dass ich etwa eine besondere Affinität zu Körperwelten hätte – ich finde es nur bemerkenswert, dass die öffentliche Zuschaustellung von Leichen(teilen) so unterschiedliche Reaktionen auslöst. Reaktionen, die von Empörung bis zur Anbetung reichen.

Sicher herzlich egal ist das den sechs Bauern, deren Schädel ebenfalls unbestattet in Marienberg gezeigt werden. Sie sind ja auch seit über hundert Jahren tot. Die Schädelknochen stehen sorgsam beschriftet in Holzhütten zu Füßen eines großen Kruzifix am Aufgang zur Kirche. Immerhin sind sie so Teil eines Kunstwerkes. Immerhin…

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