„A mute reminder of the poppy fields and graves“

Weit ausholen möchte ich, um wie angekündigt von einer ganz besonderen Totenblume zu erzählen:

Die Schallplatte traf mich mit einer Wucht, die ich vorher nie erlebt hatte und auch hinterher nurmehr selten. Es war die Zeit, in der ich vom bloßen Abhören der Rock-Musik zur Auseinandersetzung mit ihren Inhalten gewechselt hatte e. Der Kopf hörte mit, nicht nur das Bedürfnis nach guter Mucke.

Ihre Vorgängerin, eine legendäre Doppel LP The Wall hatte ich Zeile für Zeile übersetzt, mich intellektuell damit beschäftigt, mit Freunden diskutiert, das Konzert besucht und meinte, nach vielen Interpretationen, die ich darüber gelesen hatte, Pink Floyds Meisterwerk einigermaßen erfasst zu haben. Und dann das: The final cut. Der letzte Schnitt, das Abschiedsalbum von Pink Floyd, zu tief war der Graben aufgerissen, der Roger Waters von den anderen zwei Mitgliedern trennte, denn Rick Wright hatte Floyd bereits verlassen.
Es wurde schmutzige Wäsche gewaschen, Waters wurde Egomanie vorgeworfen wie auch, seine eigene biographischen Traumata zum alles bestimmenden Thema zu machen und damit die Band zu dominieren… Und was nicht alles sonst noch. Folglich kam es zum finalen Schnitt.

Die LP hatte ein schwarzes Cover. Stoffstreifen darauf, Details britischer Militärkleidung. Und dazu oben in der Ecke ein roter Viertelkreis. Dem schenkte ich wenig Bedeutung bei. Ein Fehler. Der Musik umso mehr. Ich war einer der wenigen, der die Platte wirklich mochte, mehr noch: Ggmenial fand ich sie, voller Symbole, eine Herausforderung, alles zu ergründen. Und immer wieder die Parallelsetzung vergangener Kriege mit dem aktuellen. Das Album erschien 1983 und vermengte höchst eng Roger Waters Trauma um den Tod seines Vater als Soldat bei der Schlacht von Anzio 1944, als Waters noch ein Kleinkind war, mit dem britischen Falklandkrieg von 1982. The final cut ist eine so klare wie kalte Anklage gegen Großbritanniens IronLady Maggie Thatcher, die er ebenso als Kriegstreiberin sah wie den sowjetischen Präsidenten Breschnew, den argentinischen Militärdiktator Galtieri und Israels Hardliner Ministerpräsident Menachem Begin.

Das Antikriegsalbum traf mich mit Wucht. Es riss mich mit aller Macht auf seine Seite. Und zugegeben: Es trifft mich noch immer, auch wenn ich absolut nicht mit Waters‘ Einstellung zu Israel, die ja hier schon angeschnitten wird, überein stimme. Seine zornige Haltung gegen Kriege wie gegen reaktionäre und nationalistische Politik aber teilte ich. Wie auch die Trauer über den zerstörten Nachkriegstraum, den wohl viele seiner wie auch meine Generation nach dem Zweiten Weltkrieg geträumt hatten. Den Traum vom Frieden, der immer fragil war, bis mit dem Falklandkrieg 1982 ein westeuropäisches Land wieder zu einer Kriegspartei wurde, die UdSSR in Afghanistan einmarschierte und Israel Beirut bombardierte. Das war’s dann wohl endgültig mit dem Traum vom Frieden.

Should we shout? Should we scream?
What happened to the post war dream?

Im Song Southhampton Dock wird die Parallele der beiden Kriege brillant auf den Punkt gebracht. Da sind die Kriegsheimkehrer 1945, die stumm die Schiffe verlassen – zu viele Lücken sind in ihren Reihen. Und da sind 1982 am gleichen Dock die Frauen im Regen, die ihren Männern hinterherschauen, die mit den Schiffen wieder in einen Krieg gebracht werden. Waters‘ Text beschwört Bilder, die ausgefeilt wie gewaltig sind – die man aber nicht immer auf Anhieb begreift, zumindest ich damals nicht in meiner Abiturzeit. Trotz der intensiven Beschäftigung mit The Wall.

She bravely waves the boys Goodbye again.
And still the dark stain spreads between
His shoulder blades.
A mute reminder of the poppy fields and graves.

Immer wieder stieß ich auf die Poppy Fields, aber sollte noch eine Weile dauern, bis ich als A-Ha Effekt auf dem Cover den roten Viertelkreis oben links in der Ecke als stilisierte Mohnblume identifizierte und die ganz besondere Bedeutung und Symbolik der Poppies in Großbritannien wirklich erfasste. Das geschah eigentlich erst bei einem Besuch in London viele Jahre später. Im November gibt es in UK einen Remembrance Day, eine Art Volkstrauertag. Briten heften sich an diesem Tag eine rote Mohnblume aus Kunststoff ans Revers, auf den Wiesen rings um die Kirchen werden endlos viele rote Kunststoffmohnblumen ins Gras gesteckt. Die Blumen werden gegen Spenden jedes Jahr neu gekauft – Angehörige der im Krieg gestorbenen Soldaten stecken sie ins Gras – jedes Batallion hat sein „eigenes“ Mohnblumenfeld. Denn die Mohnblume ist das zentrale Symbol der Erinnerung an die Kriegstoten Großbritanniens. Das Ganze nicht ohne eine gehörige Portion Nationalstolz und (Kriegs-)Heldenverehrung. Aber warum?

Das geht zurück auf das Gedicht In Flanders Fields. Geschrieben hat es John McCrae.

Damit hat er die Verwendung der Mohnblume als Symbol der Erinnerung etabliert und dauerhaft tief verankert.
Im ersten Weltkrieg, im Frühjahr 1915, kurz nachdem er einen Freund in Ypern, einen kanadischen Arzt, verloren hatte, schrieb Oberstleutnant John McCrae dieses heute berühmtes Gedicht, nachdem er Mohnblumen auf von Kämpfen gezeichneten Feldern wachsen sah. Blutrot der Mohn, rot wie die blutgetränkten Schlachtfelder Flanderns.
Es ist naheliegend, dass Waters‘ auch dieses hoch aufgeladene Symbol genuin durch The final cut trägt. Und dass die besungene Frau am Southhampton Dock, die dem ablegenden Schiff voller Boys hinterherwinkt, schon jetzt den dunklen Schatten eines Einschusses zwischen den Schulterblättern wahrzunehmen meint, wenn das Blut aus der Wunde tritt und die Uniform dunkel färbt. Eine vorweggenommene Erinnerung auch an Mohn- und Gräberfelder, die kommen werden.

Hier der Text:

In Flanders fields the poppies blow
Between the crosses, row on row,
That mark our place; and in the sky
The larks, still bravely singing, fly
Scarce heard amid the guns below.

We are the dead. Short days ago
We lived, felt dawn, saw sunset glow,
Loved, and were loved, and now we lie
In Flanders fields.

Take up our quarrel with the foe:
To you from failing hands we throw
The torch; be yours to hold it high.
If ye break faith with us who die
We shall not sleep, though poppies grow
In Flanders fields

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