Sssssssssssssssssssst.
Scharf saust die Sense durch das hohe Gras, sie schneidet die Halme, legt sie um. Der Schnitter verrichtet ganze Arbeit. Als Erntehelfer verdingten sich Schnitter vor der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert bei der Feldarbeit. Was heute die Mähdrescher verrichten, war einst schwere Handarbeit: Sensen, Garben binden, dreschen.
Vagabunden und Tagelöhner zogen über die Lande, boten ihre Dienste an, blieben zur Ernte und zogen dann weiter.
Seit dem Mittelalter steht der Schnitter aber auch als Bild für einen ganz anderen Gesellen: Den Sensenmann, den Gevatter Tod. Das kommt nicht von ungefähr, greift es doch auf das biblische Bild aus Jeremia 9,19ff zurück. Dort heißt es: „Ja, höret, ihr Frauen, des HERRN Wort, und nehmt zu Ohren die Rede seines Mundes! Lehrt eure Töchter klagen, und eine lehre die andere dies Klagelied: 20 »Der Tod ist zu unsern Fenstern hereingestiegen und in unsere Paläste gekommen. Er würgt die Kinder auf der Gasse und die jungen Männer auf den Plätzen.« 21 So spricht der HERR: Die Leichen der Menschen sollen liegen wie Dung auf dem Felde und wie Garben hinter dem Schnitter, die niemand sammelt.“
Unzählige Bilder und Skulpturen stellen den Tod als fahlen Mann dar, der mit der Sense über das Land zieht – seit dem Mittelalter quer durch alle Stilrichtungen bis hinein in die Gegenwart und Popkultur. Das Motiv fand Eingang auch in die Musik, Literatur, Comics, Computerspiele und Filme. Der Sensenmann oder sein englischer Kollege, der Reaper, ist ein ikonographisches, allgemein verständliches Bild.
Ein ganz besonderer Schnitter lässt sich in Altötting in der Stiftspfarrkirche St. Philipp und Jakob bewundern: Der Tod z‘ Äding, was eigentlich nichts anderes bedeutet als Der Tod von Ötting (womit in diesem Fall Altötting gemeint ist). Es ist eine etwa einen halben Meter große Holzfigur, ein Skelett mit einer Sense, die auf einer Schrankuhr aus dem 17 Jahrhundert steht. So alt ist auch der Schnitter.
Im Takt der Uhr schwingt er die Sense, die Legende weiß, dass bei jedem Schnitt irgendwo ein Mensch stirbt.
Heute gehört der Tod von Altötting zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Pilgerstadt, zusammen mit dem Gnadenbild der Schwarzen Muttergottes, die jährlich Ziel zahlreicher Wallfahrten ist und dem Grab des Heiligen Konrad.
Womit wir tief hineintauchen in den Katholizismus von Oberbayern. Aber das ist zwangsläufig so, wenn man an einem Sonntag einen Ausflug nach Altötting macht.
Unabdingbar gehören diese drei Sehenswürdigkeiten in Altötting bei einem Besuch mit auf die Tagesordnung. Zwei der drei befinden sich in der Stiftskirche, solange die Muttergottes wegen Renovierung der Gnadenkappelle ausgelagert ist.
Aber es gehört eben auch der Tod z‘ Äding dazu, wohl mehr um seiner Skurrilität willen, denn es ist zwar ein intensiv fotografiertes, aber kein Pilgerziel.
Dabei ist das Gerippe beileibe nicht der einzige Totenkopf oder Knochenmann in der Stiftskirche:
Aber nur der Tod z’Äding wedelt unermüdlich mit der Sense hin und her.
Sssssssssssssssssssst.
Vielleicht nicht ganz so scharf wie eine echte übers Gras saust die kleine Sense durch die Luft über die Uhr hinweg. Und nicht ganz so schnell. Dafür ohne Unterlass. Der Legende nach hat es wieder einen erwischt, der soeben zum letzten Mal geschnauft hat.
Und wieder muss einer in die Grube.
Obwohl ich mal in der Gegend gewohnt habe, bin ich nie dort gewesen.
Aber Altöding soll ja genauso öd wie Neuötting sein.
LG
Sabiene
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