Menschen, die öfter lange Briefe geschrieben oder Rechnungen mit der Post verschickt haben, wissen das: Ein normales Blatt Kopier-/Druckerpapier wiegt etwa 4,99g. Also wiegen vier Blätter knapp 20g, was, wenn man den Umschlag hinzugerechnet, das Porto über einen Schwellwert steigen lässt.
Und dann ist da noch die Seele. Die wiegt 21 Gramm. So jedenfalls dachte sich der amerikanische Arzt Duncan MacDougall (1866-1920) das, denn das hatte er bewiesen.
Dazu hatte er im frühen 20. Jahrhundert ein heute eher sonderbar anmutendes Experiment veranstaltet:
Er legte Menschen auf die Waage, die kurz davor waren zu sterben und beobachtete, ob sich das Gewicht direkt beim Übertritt in den Tod. Und nicht er allein – als Zeuge seiner Untersuchungen sammelte er ein Kollegium um sich.
Tatsächlich fand MacDougall einige „Probanten“ in einem Tuberkulosekrankenhaus, die dafür bereit waren und machte eine Reihe an Versuchen.
Wie er darauf gekommen war?
MacDougall war davon ausgegangen, dass die Seele den Menschen zum Zeitpunkt seines Todes verlassen wird – soweit die damalige allgemeine Meinung. Würde man also zum Zeitpunkt des Todes einen Gewichtsverlust messen können, wäre nicht nur bewiesen, dass der Mensch eine Seele hat (darum ging es ihm), sondern gleich auch noch mit, wie schwer die Seele wär.
Die erste Messung nun, bei dem ein TBC-Erkrankter auf eine große, sehr genaue Stoffwaage gelegt wurde, ergab, dass dieser genau zum Zeitpunkt des Todes 21 Gramm verlor. Das ist ein mittlerweile berühmter Wert, der einen Mythos begründet hat, der mittlerweile Einzug in die populäre Kultur gehalten hat.
MacDoughall wiederholte den Versuch sechsmal, denn eine Einzelmessung beweist wissenschaftlich gar nichts. Doch scheiterten die meisten weiteren Versuche, weil die Waage nicht rechtzeitig justiert worden war. Andere funktionierten, kamen zu anderen Ergebnissen. Die Quintessenz, die MacDoughall zog und 1907 veröffentlichte war jedoch, dass das Gewicht der Seele irgendwo zwischen 8 und 30 Gramm anzusiedeln sei. Zumindest aber beweise der Gewichtsverlust, dass der Mensch über eine Seele verfügt.
Dass das Ganze nicht nur hehren Zwecken diente sondern vor allem MacDoughalls Reputation, es ihn in den wissenschaftlichen Olymp katapultieren sollte, sei nun auch erwähnt. Das Resultat allerdings war das genaue Gegenteil: Es entbrannte ein kurzer wie heftiger wissenschaftlicher Zeit, nachdem die New York Times im März 1907 eine kleine Meldung dazu veröffentlicht hatte. Schnell sah sich MacDoughall nicht nur Kritikern und Skeptikern gegenüber, die eine nicht mal zweistellige Fallzahl keineswegs als evident ansah, sondern er wurde alsbald fachlich widerlegt.
Ein wenig Physik kann an dieser Stelle hilfreich sein. Das Gewicht entspricht der Masse eines Körpers. Bei 21g sind das rund 215 gut geröstete Kaffeebohnen, gar nicht mal so wenig, wenn man das Ganze mal als Volumen denkt. Wenn sich also 21g im Moment des Todes verflüchtigen, müssen sie vorher dagewesen sein – und zwar stofflich und sichtbar. Sie können sich nicht einfach unbemerkt vom Acker machen, um es mal salopp auszudrücken, ohne dass sie vorher bemerkbar gewesen wären.
Oder doch?
Zwar ist der Gewichtsverlust bei Eintritt des Todes tatsächlich nachweisbar, doch auch erklärbar. Denn mit Einstellung der Atem- und Herzfunktion wird das Blut nicht mehr durch die Lunge gepumpt und dort gekühlt. Es kommt zu einer kurzen Erwärmung, quasi dem letzten Schwitzschub, in dem der Leichnam ein paar Gramm Wasser ausdünstet.
MacDoughall, der sich um Ruhm und Ehre geprellt fühlte, ging in die Offensive, auch wenn er keine weiteren Sterbende mehr wog. Zumindest keine Menschen. Er nämlich bewies, dass Hunde zum Zeitpunkt ihres Todes keinesfalls das Gewicht verlieren und folgerte daraus, da Hunde ja keine Seele hätten, also sich auch beim Sterben ihr Gewicht nicht reduziert, dass seine Theorie richtig war.
Mehrere Hunde mussten genau dafür ihr Leben lassen, er vergiftete sie auf der Waage.
Die damals schon anstößigen und heutzutage undenkbaren Tierversuche allerdings bewiesen rein gar nichts.
Denn MacDoughall setzte hier zwei damals allgemein gültige Annahmen als Fakten voraus: Menschen haben eine Seele. Tiere nicht. Stirbt der Mensch, verliert er die Seele und nimmt ab. Stirbt das seelenlose Tier, verliert es natürlich keine solche und nimmt folglich auch nicht ab.
Annahmen aber als Fakten darzustellen, macht die komplette Beweisführung per se hinfällig. Dazu muss man nicht mal erwähnen, dass Hunde nicht wie Menschen über die Haut schwitzen und demzufolge auch bei einem Schwitzschub kein Wasser ausdünsten.
Bewiesen ist also wie gesagt rein gar nichts; weder,
- dass der Mensch eine Seele hat und die etwa 21 Gramm wiegt,
- noch, dass er keine hat,
- dass Tiere keine Seele haben,
- noch, dass sie eine haben
In den 30er Jahren wurde das Experiment übrigens an Mäusen wiederholt. Auch sie verloren, kurz nachdem man sie vergiftet hatte, an Gewicht. Weil Mäuse eine Seele haben?
Nein, weil sie Wasser ausschwitzen, was mit einer Gegenprobe erwiesen wurde, hermetisch abgedichtete Mäuse nämlich verloren kein Gewicht beim Sterben, denn hier verdampfte das Wasser nicht. Womit nicht bewiesen wurde, ob Mäuse eine Seele haben oder nicht, sondern nur der Schwitzschub.
Das hinderte aber nicht die heutigen Unterhaltungsmedien, das Thema immer wieder aufzugreifen und an dem Mythos munter weiter zu spinnen. Sei es der Spielfilm 21 Gramm von Alejandro González Iñárritu von 2003, noch Dan Brown, der das Thema in seinem Roman Das verlorene Symbol aufgriff. Brown, dessen Romane vollgepackt sind mit Mythen und Verschwörungstheorien, geht dabei so raffiniert vor, dass man seiner Schilderung fast Glauben schenken möchte. Zu überzeugend sind Illuminati und Da Vinci Code als das man nicht schnell der Meinung sein könnte, dass da irgendetwas dran sein muss. Denn auch er tarnt Mutmaßungen, Spekulationen und Behauptungen geschickt als bewiesene Fakten und zieht diese zur Beweisführung seiner weltumspannenden Verschwörungsmythen heran. Und je weiter er sich dabei in spirituelles, religiöses Terrain begibt, umso besser für seine Buchumsätze und Verfilmungstantiemen.
Also nimmt es nicht weiter Wunder, dass er auch das Seelengewicht zum Thema machte: 21 Gramm, bzw. 18 Gramm. Ein wenig erschreckend: Dan Brown glaubt offenbar selbst daran, zumindest hat er es 2009 in einem Interview so gesagt.
Ich bin da eher ein ungläubiger Thomas.
Der 21-Gramm-Mythos hat zugegeben etwas Verführerisches, aber eben nur so lange, bis man der Sache mal wirklich wissenschaftlich auf den Grund geht. Wie so oft steckt eine Wahrheit dahinter, die ziemlich profan ist. Und weil sie sich eben nicht so spektakulär oder mysteriös anhört, keine geheimes Wissen beinhaltet noch geheime Mächte involviert sind, ist es nur halb so spannend, ihr den Vorzug zu geben.
Von Fakten allerdings haben sich Verschwörungsanhänger und Mythengläubige noch nie aus dem Konzept bringen lassen.
Aber das ist eine andere Geschichte.
Beachtlich…
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