Meine Sterbedecke

IMG_0299In Windeseile hat Katja Gastell von „Blutkarpfen“ meine Sterbedecke genäht. Also, erst mal hat sie kurz geschluckt. Aber dann – schließlich stempelt sie fleißig Totenschädel auf ihre Kleider – ist sie losgezogen und hat gemäß meines Auftrags lebenslustig bunte Stoffe zusammen gestellt. Mein Wunsch: „Von Angesicht zu Angesicht“ gestempelt auf altes Leinen. Der Stoff eine Reminsizenz an die Sterbehemden in den Schränken der Urgroßmütter. Die Worte bringen auf den Punkt, was ich glaube. Dass ich bei Gott sein werde, dieser Kraft, die mich trägt, jetzt immer noch mit den Interferenzen des Alltags und der Glaubensmattigkeit. Dann ungetrennt.

Ein riesiger Fisch schwimmt auf dem Tuch, so lebensfett wie die Pünktchen, Streifen und Farben meiner Decke. Warum die Decke so schnell fertig werden musste, kann ich noch nicht erzählen. Aber es war gut eine „deadline“ zu haben.

Nach dem ersten „Gebrauch“ wollte ich sie gar nicht mehr ablegen, habe Petra auch gleich noch unter diese Fittiche genommen und abends lagen wir beide gemütlich drunter.

Sie zwickt mich schon noch ins Herz, diese Decke, die jetzt durch mein Wohnzimmer wandert und in die ich gerade eingehüllt bin. Vielleicht war das mit den Totenhemden in den Schränken unserer Ahninnen auch so. Nagt am Rande des Bewusstseins und unterstreicht das JETZT.
Sterbedecke, Totendecke, Sargdecke – Lebensdecke!

11 Gedanken zu „Meine Sterbedecke

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  3. Liebe Annegret,

    da ich das erstemal auf einem Blog einen Kommentar verfasse, weiss ich gar nicht, ob es hier nicht schon zu spät ist, da dein Blogeintrag „Meine Sterbedecke“ vom März 2015 ist.
    Wie kuschelig deine Sterbedecke – Lebensdecke aussieht. Ich habe nicht herausgefunden, warum sie so schnell fertig werden musste…

    Vielen Dank erstmal für euren Blog. Schön, dass ihr eine Möglichkeit geschaffen habt, Menschen anzuregen, sich Gedanken über das Sterben und den Tod zu machen. Sich auszutauschen, sich anzunähern, an das Ende des Leben, mit dem sich jeder von uns früher oder später beschäftigen muss. Es ist nicht leicht Menschen zu finden, die sich offen mit dem Tod, dem Sterben, dem Abschiednehmen beschäftigen. Ich war im Oktober auf einer Veranstaltung von Petra Hugo http://www.leben-sterben-feiern.de. Es war sehr inspirierend, sehr emotional für mich daran teilzunehmen. Und ich habe Menschen kennengelernt, die trotz schwerer Schicksalsschläge ganz viel Zuversicht und Lebensfreude ausstrahlen. Ich habe wieder sehr intensiv gespürt, dass Leben und Tod einfach zusammengehören. Es ist das Natürlichste der Welt – wir werden geboren und wir werden sterben.

    Nach einem Todesfall in meiner Familie kam bei mir die Frage auf:

    WIE SOLL MEIN LETZTES KLEIDUNGSSTÜCK AUSSEHEN?

    Ich habe viel überlegt, viel gesucht und nichts Passendes gefunden – ich wusste nur: ich möchte keine Kleidung tragen, die ich im Leben angezogen habe. Die jetzt meine Lebendigkeit unterstreicht. Keines davon möchte ich als Tote tragen und auch keines dieser hässlichen Rüschenhemden vom Bestatter. Nach meinem Tod möchte ich möglichst wenig bewegt werden. Es sollte also etwas Besonderes sein – „ mein letztes Hemd“.

    Warum nicht ein großes, buntes Tuch, in das mich meine Liebsten einhüllen? Und ja – ich möchte es bereits zu Lebzeiten im Schrank haben, um immer mal wieder an meine eigene Endlichkeit erinnert zu werden. So wie es früher der Brauch war, sein Totenhemd bereits zu Lebzeiten zu besitzen.

    Ich reiste also zu meiner Freundin nach London mit Stoff im Koffer. Wieder zuhause, habe ich das Tuch weiter mit der Nadel befilzt. Ich habe viele Tränen in das erste selbstgenähte Tuch geweint, viele Emotionen sind hochgekommen. Während des Nähens habe ich mir viele Gedanken gemacht und mir vieles angeschaut, was in meinem Innersten verschüttet war. Ich habe geweint um meine Großeltern, die ich als Tote nicht mehr sehen durfte, weil man „so etwas nicht macht“. Was ist mit dem Brauch passiert, ins Haus der Nachbarn zu gehen und persönlich Abschied zu nehmen vom Verstorbenen. Wollen wir diesen Brauch nicht wiederbeleben? Die offene Aufbahrung?

    Ich habe in meiner Bestattungsvorsorge festgelegt, dass wenn es möglich ist, ich von meinem Sterbeort wieder nach Hause geholt werde, damit dort in gewohnter Umgebung meine Familie und Freunde Abschied nehmen können. Wie viele Menschen sehen tagtäglich „Tote“ im Fernsehen und haben noch nie in ihrem Leben einen Verstorbenen gesehen oder berührt? Wovor haben wir Angst, was ist die Ursache? Können und wollen wir es wieder lernen, dass wir uns Zeit nehmen, unsere Toten in Ruhe und Würde persönlich zu begleiten und zu verabschieden. Dass wir einfühlsame Bestatter finden, die uns Halt geben, die an unserer Seite sind, wenn wir diese schwere Zeit durchleben? Die uns fragen, wie wir uns den Abschied wünschen, die für uns Überlebende und für die Toten da sind?

    Jetzt in meiner Lebensmitte habe ich meine Herzensangelegenheit gefunden. Wer Interesse an individuellen Totentüchern hat, kann mehr erfahren unter: http://www.abschiedsart.de

    Ich freue mich, eurem Blog zu folgen und bin gespannt auf eure nächsten Themen. Ich hätte gerne bei eurem November-Blog mitgemacht, habe selber keinen Blog und kann somit nicht am gleichen Tag auf euren Totenhemd-Blog verlinken.

    Herzliche Grüße Gabi

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    • Liebe Gabi,
      es ist nie zu spät für einen Kommentar :-)! Schon gar nicht einen so reich gefüllten wie deinen!. Heute schreibe ich nur kurz, weil gerade so viel los ist, aber ich möchte mir noch genauer anschauen, was ihr da wunderbares geschaffen habt!
      Meine Sterbedecke entstand so schnellschnell, weil Petra und ich bei einem Fototermin für die Ausstellung „Im letzten Hemd“ parat sein wollten. Ich dachte mir damals, es wäre schön, eine decke zu haben, mit der ich zugedeckt würde, oder dann der Sarg, sodass meine Angehörigen die Decke auch wieder mitnehmen können. Zurzeit ist sie in meinem Wohnzimmer an meinem Libelingsplatz. Wir haben schon manches mal daruf herumgelegen. Und immer „kratzt“ es dann ein bisschen an meinem Wissen um meine Endlichkeit. Ein nicht immer angenehmer aber besonderer Prozess. Was du über deine eigene Decke erzählst finde ich ja ganz wunderbar. Ich glaube, es wird im Laufe der Zeit auch bei mir noch eine andere Decke geben, oder die Decke verändert sich. So wie sich meine Einstellungen immer wieder verändern, seit ich mit Petra diesen Blog begonnen habe.
      Also: Petra und ich freuen uns sehr über deinen Kommentar hier. Vielleicht magst du immer mal wieder was zu anderen Artikeln schreiben. Ich werde ab Dezember noch mal genauer schauen was du noch alles geschrieben hast. Danke für diesen Schatz!
      Herzlich
      Annegret

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  4. Du wirst Deine Gründe gehabt haben, liebe Annegret.
    Eigentlich kann man damit nie schnell genug fertig sein, denn man kann letztlich nie wissen
    wann es passiert….
    Ich denke es kann auch etwas Beruhigendes gehabt haben, das Totenhemd im Schrank.
    Alles war, man hatte sich vorbereitet, egal, wann es passieren würde.

    Dieser Zeitungsartikel ist schon etwas älter, aber passt, finde ich, ganz gut hie mit her.
    http://jeversches-wochenblatt.de/Nachrichten/ArtikelNr/13075/ReturnTab/374

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  5. Ach schön! Ich habe auch eine Sterbe- bzw. Sargdecke! Ich habe mir zum 50igsten von meinen Gästen blaue und weiße Stoffreste gewünscht. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch nicht die Idee daraus eine Sterbedecke zu nähen. Als die Decke allerdings dann vor mir lag, dachte ich mir, dass da so viele Freunde „mitgeholfen“ haben und es doch schade sei, sie einfach so zurück zu lassen.
    LG Barbara

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