1.11. Katja Glöckler: Wenn der Tod Türen öffnet

IMG_2480Bisher habe ich das Thema Tod immer als etwas Schmerzliches erlebt. Es war für mich immer ein Ereignis der Trauer und vor allem der Einsamkeit. Wenn ein geliebter Mensch stirbt, dann geht er von einem. Er geht für immer und das was bleibt ist die Einsamkeit. Auch wenn es eine Familie oder Freunde gibt, die mit einem trauern, hinterlässt dieser Mensch Spuren der Einsamkeit. Er geht aus dem Leben und fehlt in meinem. Ich fühle mich alleine.

Wenn ich andere Menschen auf einem Friedhof gesehen habe, die vor einem Grab standen – gebetet oder nur stillschweigend davorstanden, Blumen ablegten – habe ich immer den Verlust, den Schmerz und die Einsamkeit gesehen. Ich hatte niemals den Gedanken, dass uns etwas verbindet, diesen fremden Menschen, wie er vor einem Grab steht und mich.  Ich wäre niemals auf die Idee gekommen, einen dieser Menschen anzusprechen?!

Im letzten Sommer gingen wir nach Mexiko ….

Die Eindrücke prasselten natürlich nur so auf uns ein. Ab Oktober kamen die Skelette und Totenköpfe. Es gab kaum mehr einen Ort ohne sie: Im Restaurant, in Fensterscheiben, an Hausfassaden, auf Bildern und Plakaten, als Figuren und Scherenschnitte von überall her schauten uns die Knochenköpfe an. Im Supermarkt gab es sie sogar aus Zucker, als Süßigkeit, so wie Osterhasen oder Nikoläuse – nur eben als Totenkopf. Direkt daneben das Totenbrot, ein süßes Hefegebäck. Es wurde immer mehr.

Die Mexikaner bereiteten sich auf den Día de Muertos vor – den Tag der Toten. Am 1./2. November wird hier das Fest der Toten gefeiert. Dem Glaube nach kommen an diesem Tag die Geister der Verstorbenen zurück, um mit ihren Familien zu feiern. Für die Toten werden Altare aufgebaut. Sie werden mit orangefarbenen Blumen geschmückt, es wird Essen darauf gestellt: Totenbrot, Früchte, Linsen, Mais, Salz, Zucker, etwas von dem, was der Verstorbene gerne gegessen oder getrunken hat. Hinzu kommt noch ein Bild der verstorbenen Person. Totenköpfe oder Skelettfiguren  fehlen auch hier nicht. Dabei kommt keine Gruselstimmung auf, es ist anders.

Am 31. Oktober, dem Vorabend des Totentags ging ich unsere Straße entlang, eine Straße in einer bewachten Wohnsiedlung, wir sind in Mexiko. Wie unzählige Male in den letzten Monaten kam ich an einem Haus vorbei, nur vier Häuser von unserem entfernt. Noch nie habe ich mit diesen Nachbarn gesprochen. Ich kannte sie nicht. Ich wusste, dass dort ein kleiner schwarzer Hund bellte, wenn man sich dem Haus näherte, mehr nicht. Ich ging an dem kleinen Eingangstor vorbei. Dahinter kommt ein Hof und erst dann beginnt das Haus. An der Hauswand zum Hof war der Altar aufgebaut. Er war geschmückt und mit Kerzen beleuchtet. Ich schaute zum Haus und zum Altar und plötzlich hörte ich ein freundliches „Hola, quieres entrar?“ – Hallo möchtest Du hereinkommen? Schau Dir unseren Altar an. Das ist meine Mutter auf dem Foto.“

Die Stimmung war so freundlich und einladend. Diese Frau öffnet mir die Tür und bittete mich herein. Ich stand in ihrem Hof und sie erzählte ausgelassen und fröhlich weiter. Wir sprechen über den Altar und ihre Mutter. „Sie ist schon vor vielen Jahren gestorben. Jedes Jahr besucht sie uns und wir feiern mit ihr, am Tag der Toten.“ Die Stimmung war herzlich. Es war ruhig und alles stimmig. Ich konnte spüren, dass sie sich freut. Sie war stolz auf den schönen Altar und freute sich auf ein schönes Fest. Es ist ein Familienfest, ein Wiedersehen und Zusammentreffen. Das Gefühl von Einsamkeit gab und gibt es hier nicht.

An diesem Abend hat mir der Tod eine Tür geöffnet. Ich habe eine Frau kennengelernt, mit der ich wahrscheinlich sonst nicht ins Gespräch gekommen wäre. Es gab eine Gemeinsamkeit. Wir haben uns nicht in der Trauer um einen Menschen vereint, sondern in der Vorfreude auf ein Fest. Unvorstellbar, wenn ich an die Momente in Deutschland auf dem Friedhof denke.

Warum schreibe ich das? Ich habe vor wenigen Tagen  von diesem Blogprojekt erfahren. Es ist wieder November. Im Mexiko ist es wieder Zeit, um mit den Toten zu feiern. Es ist die Zeit, Türen zu öffnen und um mit Menschen zusammenzukommen. Ich freue mich über dieses Blogprojekt, das bestimmt ebenso verbinden und Gedanken anregen wird.

Katja, wir freuen uns sehr über diesen Beitrag direkt aus Mexiko. Danke.
Katjas Website: Page-You.

Hier seht Ihr alle Infos zu unserer Blogaktion „Was ist deine heimlichste Frage?“.

12 Gedanken zu „1.11. Katja Glöckler: Wenn der Tod Türen öffnet

  1. Liebe Katja, grad fand ich diesen Eintrag über das plus50 Forum, und freute mich. Denn ich war vor Jahren grad zu den Totentagen bei einer sehr lieben bedeutenden Künstlerin (Helen Escobedo) in Mexico zu Besuch, und sie erklärte mir: Die Todin (La Muerte) sitzt an solchen Tagen den Lebenden auf der Schulter und tanzt mit ihnen. Grad heute fielen mir die Notizen von damals in die Hand – ich dachte mit Schmerz an Helen, die inzwischen gestorben ist -, und siehe da, nun ist auch dein Beitrag zu mir gekommen.
    Liebe Grüße aus Griechenland. Gerda

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  2. Hallo Katja,
    danke dass du uns mit zum Einkaufen und auf einen Spaziergang mitgenommen hast! Ich hab das jetzt ein paarmal gelesen und habe so eine Sehnsucht nach so etwas wie dort im Mexiko. Die Kreativität, die in die Gestaltung dieser Altäre fließt ist so heilsam. Und genauso das gemeinsame Fest.
    Vielen Dank auch für die Fotos!
    Herzlich
    Annegret

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    • Sehr gerne! Auch dieses Jahr habe ich wieder viel neues erfahren. Beispielsweise ist der erste Tag für die toten Kinder, der zweite für die toten Erwachsenen. Der Schmuck überall war wunderschön und manche Skelette hängen oder stehen noch immer in manchen Läden.

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  3. Liebe Katja, Du live in Mexiko – das ist großartig. Als wir uns vor wenigen Tagen virtuell kennenlernten habe ich Dich beneidet um Dein Dort-sein am 1. November. Wie ich schon erzählte, weiß ich von dem Dia de los Muertos erst seit kurzem.

    Schön, dass Du die Nachbarin hast kennenlernen können genau aus diesem Grund: dem gemeinsamen Feiern und Erinnerin. Das ist es was uns trägt. Stell Dir vor, wir würden uns gegenseitig erzählen von unserer Mutter oder unserem Vater und wir wären neugierig und würden zuhören :-). Bei Brot, Käse und Wein.

    Weiterhin eine gute Zeit.

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    • 🙂 Liebe Pertra, es war mir eine große Freude, Euch diese Geschichte aus meiner Zeit in Mexiko zu schicken. Ich freue mich, dass ich Euch allen damit eine so große Freude machen konnte!

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  4. Liebe Katja, deinen Beitrag habe ich gern gelesen. Bei uns ist der Tod immer mit Trauer verbunden. Heute haben wir Allerheiligen gefeiert und sind über unseren Dorffriedhof gegangen, um an Verstorbene zu denken. Wie schön wäre es gewesen, wir hätten ein Wiedersehensfest gefeiert. Das würde vielen Trauernden helfen.

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    • … auch ein schöner Brauch: an Allerheiligen auf den Friedhof gehen und an die Verstorbenen denken. Hat eben eine andere Qualität, aber immerhin. Auf dem Dorf grüßt man sich noch und erzählt, oder? Wie wäre es mit einem Versuch, solch ein Wiedersehensfest im nächsten Jahr zu organisieren?

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    • Ja, die Trauer auf dem Friedhof … das ist in Mexiko auch anders. Nicht überall, aber es gibt durchaus Orte oder Stadtteile, in denen gefeirert wird auf dem Friedhof. Es ist voll, es gibt Musik und viiiiiel Tequilla!

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