Im Schatten der Münchner Allianz Arena direkt am Autobahnkreuz München Nord zeugt die kleine Kirche Heiligkreuz mit dem ihr umgebenden Friedhof von der einstigen Existenz des Dorfes Fröttmaning. Es sind die letzten Überbleibsel eines einst eigenständigen Ortes, der in den 30er Jahren nach München eingemeindet und 25 Jahre später dem Erdboden gleich gemacht wurde.
Die benachbarte Kläranlage brauchte Raum, viel Raum. Der Berg des Klärrschlamms wurchs unaufhörlich und als der Autobahnbau ebenfalls seine Tribute an Fläche forderte, war es um Fröttmaning geschehen.
Übrig blieben Kirche und Friedhof. Wie in Oberberghausen fehlte wohl gottseidank der Mut, die alte Kirche einfach mitabzureißen.
Heute fristet sie ein Schattendasein inmitten am Rand eines kleinen Parks zwischen zwei sehr markanten Wahrzeichen der bayerischen Landeshauptstadt: Dem Windrad auf dem ehemaligen Klärschlammberg und dem bereits erwähnten Fußballstadion: Das Erste, was man von München sieht, wenn man von Norden her in die Stadt kommt.
Den Park wollte ich mit anschauen und darüber bloggen, nachdem ich gehört hatte, dass man zum Windrad hinauf kann und von dort oben eine tolle Aussicht hat. Im Frühjahr 2021 war ich das erste Mal dort.
Und ich wollte das Kunstwerk Das versunkene Dorf bestaunen; eine Kunstinstallation von Timm Ulrichs aus dem Jahr 2006. Es zeigt eine nicht begehbare Replik der Heiliggeistkirche im Maßstab 1:1 nur knapp 180 Meter entfernt vom Original. Das Kunstwerk demonstriert auf sehr eindrucksvolle Weise, wie Fröttmaning unter dem Berg, den Schlammmassen quasi versunken ist. Nur die Kirche, die bleibt.
Auf diesem Bild ist links vor der Arena die Installation und beim genauen Hinschauen rechts zwischen den Bäumen der echte, alte Kirchturm zu erkennen:
Noch bevor ich aber beides erreiche, zieht ein anderes, weniger auffälliges Detail im Park meine Aufmerksamkeit auf sich. Es ist ein eher unauffälliger Gedenkstein für den unglückseligen Mechaniker Heinrich Hannecker, von dem wohl niemand heute irgendetwas mehr wüsste, wäre er nicht 1909 an genau dieser Stelle vom Pferd gefallen.
Seine Freunde haben den Stein errichtet. Viele dieser Erinnerungsorte finden sich im Norden von München: Inmitten der Garchinger Heide, nur wenige Kilometer entfernt, seht ein sehr ähnlicher Stein, ebenfalls zur Erinnerung an einen tödlich verunfallten Reiter. Und an der nahegelegenen Isar erinnert einer an die Toten eines Unglücks von 1907.
Die meisten dieser Gedenksteine sind verwittert, kaum noch ist die Inschrift zu entziffern. Die Geschichte verblasst. Auch die Pflege der Erinnerung kann sehr endlich sein.
Es sind sozusagen die Ahnen der heute überall am Straßenrand stehenden Kreuze für die Unfalltoten im Straßenverkehr. Nur, dass es heute von viel, viel mehr Unfallkreuze gibt.
Im äußersten Norden des kleinen Parks schließlich steht die echte alte Heiligkreuz-Kirche. Ihr Vorläufer wurde bereits im 8. Jahrhundert erwähnt, die Bausubstanz der heutigen Kirche stammt präsentiert, stammt aus dem 11. Jahrhundert. Es ist beruhigend, dass nicht auch sie ein Opfer der Autobahnbaus wurde oder unter Massen an Klärschlamm verschütt gegangen ist.
Leider ist sie nicht geöffnet, vielleicht habe ich bei einem späteren Besuch mehr Glück. Zumindest der Friedhof ist nicht abgesperrt, er ist noch immer in Betrieb. Gepflegte Gräber zeugen ebenso davon wie Kränze auf einem aufgeworfenen Grabhügel, da wurde erst vor kurzem jemand eingegraben.
So schlendere ich zwischen den Gräbern einmal um das spätromanische Bauwerk herum, bewundere, wie liebevoll es in Stand gehalten wird und lasse meinen Blick über Gräber, Grabsteine und Grabkreuze schweifen. Es könne ein wunderbarer Ort der Muße, des Friedens und der Besinnung sein, oder ein Ort, in dem man der Phantasie freien Lauf lassen könnte, wäre nicht der fortwährende dröhnende Lärm der nahen Autobahn.
Friedhöfe sind auch ein Ort des Erinnerns und Gedenkens, wüsste man nur wer unvergessen bleibt und wer in Frieden ruhen soll. Bisher offenbar niemand.
Vermutlich hat da jemand für die ganze Familie schon eine Gruft in Vorbereitung und die Namen werden später nur flugs ergänzt.
Nahe der Kirche, direkt an der Autobahnüberleitung steht ein alter Opferstock. Hier brausen die Fahrzeuge in nicht mal mehr 20 Metern hinter der Sammelstelle für Almosen vorbei, nur getrennt durch einen Maschendrahtzaun. Fast meint man, noch ein zwei Schritte, dann fahren sie einem über die Füße.
Aber so sehr der Autobahnlärm auch stört, ich persönlich halte diesen Ort für zauberhaft und trotz allem Grundrauschen durchaus für geeignet, ein wenig zur Ruhe zu kommen.
Es ist ein Kleinod, das einen Besuch lohnt.
Und wem das nicht genug ist, der kann ja immer noch zum Windrad aufsteigen oder hinüber zur Arena pilgern…