Theaterstück: Einfach das Ende der Welt

Zuhause – das sind die Eltern, die Dörfer, der Schulweg … “ aus dem Theaterstück

In Berlin habe ich im Deutschen Theater zusammen mit meiner Freundin Ingrid das Stück „Einfach das Ende der Welt“ nach Jean-Luc Lagarce gesehen. Es wurde vom Schauspielhaus Zürich adaptiert. Die Premiere fand in Berlin am 19. Januar statt. Das Stück ist vielfach ausgezeichnet und wurde neu ergänzt mit Corinna Harfouch.

Kurz zum Inhalt: es ist ein Drama über eine bürgerliche Familie. Benjamin hat vor 12 Jahren seine Familie verlassen, „weil er sich befreien wollte“ und hielt auch keinen Kontakt. Weder zu seiner Mutter, noch Schwester oder Bruder. Er wird sterben müssen, weil er krank ist und will nun diese Nachricht übermitteln. Wir erleben zu Beginn des Stücks wie Benjamin mit sich ringt. Er malt sich aus, wie es sein sein wird zurückzukommen in das Haus, zu seiner Familie, die 12 Jahre weitergelebt hat ohne ihn. Wir lesen hierzu: „Wie tritt man seiner Mutter gegenüber, wenn man zwölf Jahre lang ihre Stimme nicht hören wollte? Wie nennt man seine kleine Schwester, wenn man keine Ahnung hat, wer mit 14 ihre beste Freundin war? Und was sagt man seinem Bruder, der zwölf Jahre lang versucht hat, den Verlust des verlorenen Sohnes vergessen zu machen?“

Wir sehen ein bürgerliches Familienstück, in dem wahre Kommunikation nicht möglich ist. Vielleicht am Ende. Ein Hauch von Ehrlichkeit. Stark fanden wir den Anfang, weil der Schauspieler mit uns den Zuschauerinnen und Zuschauern in Kontakt geht und seine Gedanken mit uns teilt. Er ringt mit sich, ob und wie er seine Familie antreffen wird, was er vorfinden wird und wie er ihnen sagen wird, dass er sterben wird. Wir spiegelten sein schlechtes Gewissen. Wir riefen ihm immer wieder zu, weil er uns dazu aufforderte:

„DU WARST 12 JAHRE NICHT ZUHAUSE !“

Er übt vor uns, DEN Satz auszusprechen: Ich werde sterben. Dafür sollten wir die Augen schließen, damit es für ihn leichter geht. Im Stück waren wir nun seine Freundinnen und Freunde, seine Verbündeten.

Mit einer Videokamera filmt er sein altes Zuhause, sein altes Kinderzimmer, er hält die Kamera sekundenlang auf das gleiche Objekt: Muscheln, Staub, Zigaretten, Feuerzeug, Deko-Blumen, Geschirr, Gardinen, Möbel … wie es halt so aussah in den Wohnzimmern der 70er Jahre. Video- und Musikkassetten, ein Kassettenrecorder. Klein, alles ein bisschen bieder und abgewohnt, überall gesammelte Steine, Muscheln, Schwemmholz. Die Filmsequenzen wurden direkt auf Leinwände übertragen, so dass wir mit ihm durch die Kamera die Dinge betrachteten. Die alltäglichsten Dinge wie die Haarbürste voll mit Haaren, wie eben benutzt, wird fremd, skurril, seltsam.

Nach 25 Minuten etwa war Pause und die Bühne wurde sehr karg mit Möbel-Fragmenten für die heutige Zeit umgebaut. Sie waren eher an die Wand gestellt und symbolisierten die Distanz und Kälte in der Kommunikation die nach 12 Jahren Abwesenheit des Sohnes stattfindet.

Die Begegnung mit der Familie ist gezwungen, starr, „man macht auf Familie“, Vorwürfe sickern durch, es wird wenn überhaupt krampfhaft gelacht und die Situation „schön inszeniert“, weil der Sohn und Bruder zurück ist. Es kommt zu keinem Gespräch über das Leben, über die Vergangenheit … es wird die ganze Zeit eigentlich über nichts gesprochen.

Im Interview wird Jonathan Mertz (Bühne) gefragt: „Wieso ist der Tod in der bürgerlichen Kleinfamilie ein so großes Tabu“? „Ich weiß nicht, ob das nur was mit dem Familienumfeld zu tun hat. Es gibt eher einen gesamtgesellschaftlichen Imperativ: Du darfst nicht sterben! Ich würde sagen, der Tod ist in allen sozialen Beziehungen ein Tabu. Man kann damit nicht pragmatisch umgehen, der Tod ist irgendwie verboten“.

Der Regisseur Christopher Rüping antwortet: „Es ist einfach sehr schwer, über den Tod zu reden. Was soll man auch angesichts des Todes sagen? Über etwas zu sprechen, bedeutet ja immer auch, dieses Etwas in den Griff zu bekommen und der Tod ist halt einfach nicht in den Griff zu bekommen“.

Die Schlussszene zwischen dem Protagonisten und seinem Bruder gefiel mir, weil sie sehr ehrlich war, ich zitiere: Nein, ich werde dich jetzt nicht umarmen. Nein, warum sollen wir uns JETZT versöhnen? Nur weil du stirbst? Es ist mir egal, ob du stirbst. Dann stirbst du eben!

Sehr stark gespielt! Sehr sehenswert!

Deutsches Theater Berlin, Einfach das Ende der Welt:
Trailer, Fotos, Beschreibung

Morgen am Mittwoch, 1. Mai wird das Stück aufgeführt, es gibt noch wenige Karten
und letztmalig am Freitag, 17. Mai

2 Gedanken zu „Theaterstück: Einfach das Ende der Welt

  1. Tolle Beschreibung dieses äußerst eindruckvollen Stücks, liebe Petra! Ja, das ist das Traurige: Man kann nicht einfach nach zig Jahren nach „Hause“ kommen und erwarten, dass man einfach wieder aufgenommen wird, selbst dann nicht, wenn man sterbenskrank ist. Die Familie muss man heutzutage, wo man die Möglichkeit hat, sich sehr weit von ihr zu entfernen, immer wieder herstellen: Doing family heißt das Zauberwort.

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    • Liebe Ingrid, grüß Dich, schön, dass Du vorbei gelesen hast. Ja, der Abend war sehr besonders. Schön, dass wir das Stück gemeinsam gesehen haben und danach unsere Gedanken austauschen konnten. „Doing Family“ hab ich mir gut behalten, genau. Danke. Schönen ersten Mai.

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