Unsere Nachbarin ist die Mesnerin der katholischen Kirchengemeinde St. Martin in unserem kleinen Dorf. Als solche verrichtet sie nicht nur zahlreiche liturgische Dienste, sie ist auch für das Glockengeläut zuständig, allerlei weitere Aufgaben am und im Gebäude und weiß bestens Bescheid über alles, was sich innerhalb des Gemeindelebens abspielt. So auch ihr Mann, der an den Gottesdiensten gelegentlich als Eucharistiehelfer beteiligt und in der Katholischen Marianischen Männerkongregation aktiv ist. So kommen auch wir gelegentlich in den Genuss, Neues zu erfahren, was das (kirchen)-gemeindliche Leben betrifft.
Als „Zugroaste“ in Bayern, noch dazu als Protestant, gehöre ich nun mal nicht dazu. Und manches in dem sehr katholischen und traditionsverankerten Leben ist mir eher fremd, was nicht heißt, dass ich mir darüber ein Urteil anmaßen möchte. Ich betrachte das Ganze eher phänomenologisch: Ich sehe die Phänomene religiösen Handelns, nehme sie wahr und ernst und versuche, sie verstehen und einzuordnen. Aber darum geht es hier nicht.
Es geht um etwas viel Profaneres, Kleinteiligeres. Nämlich um eine Formulierung, die ich so das erste Mal in Bayern gehört habe, wenn es eine Beerdigung gegeben hat. Dann nämlich erzählt der Nachbar davon, dass „wir wieda amoi oan eingrabn hobn“, (was in der Verschriftlichung des im Dialekt gesprochenen Satzes kaum wiedergebbar ist, ich bitte das zu entschuldigen, bitte stellt Euch das also gesprochen vor).
Sie haben, und damit sind wahlweise die Kirchengemeinde, der Freundeskreis, die Nachbarschaft, die Dorfgemeinschaft, die Familie gemeint, wieder einen eingegraben.
In Bayern auf dem Land wird also, so lernte ich schnell, nicht beerdigt, geschweige denn bestattet. Der Tote wird eingegraben, wobei es vollkommen unerheblich ist, ob die Toten erd- oder feuerbestattet wurden und nur die Urne beigesetzt.
Da wurd wer eingegraben.
Fertig.
Das klingt noch heute nach über 20 Jahren, die wir in diesem Dorf leben, jedes Mal in meinen Ohren befremdlich, fast anstößig, was aber gar nicht so gemeint ist. So nüchtern, so profan, so empathielos, fast schon respektlos oder gar abwertend hört es sich an, ist es aber nicht. Denn Beerdigungen im Dorf sind immer alles andere als profan oder empathielos. Im Gegenteil.
Es ist einfach nur die Redewendung, die mich irritiert. Sie bezeichnet das, was es ist: einen Toten eingraben. Ohne Verklärung, ohne Umschreibung, ohne sich vor der Realität zu drücken. Da wird einer eingegraben, nicht mal begraben. Und alle reden so – zumindest die Alteingesessenen:
Den einen G. ham’s eingrabn, der ist in Folge des dritten Herzinfarkts gestorben, den anderen G. ham’s eingrabn, der hat sich im fortgeschrittenen Stadium der Krebserkrankung das Leben genommen. Die S. ham’s eingerabn, die war aber schon uralt und die C. ham’s eingrabn, die wurd einfach zsamm gfahr’n. Das Kind von der R. ham’s auch eingrab’n, das war so schwer krank und den alten J. den ham’s eingrabn, der hat’s auch geschafft.
Jedes Mal zucke ich innerlich ein wenig zusammen. Gewöhnt habe ich mich noch immer nicht daran. Ich denke, würde ich diese Formulierung am anderen Ort verwenden, mein Gegenüber würde es auch irritieren.
Am Arbeitsplatz irgenwann mal zu sagen: „Morgen kann ich nicht ins Büro kommen, da wird die Mutter der Nachbarin eingegraben“ – vemrutlich würde niemand diese Rede gutheißen, nicht einmal die eingefleischten Münchner.
Da wird auch beerdigt, aber auf dem Land, da wird noch immer eingrab’n.
Wie seht Ihr das?
Ich freue mich auf viele Kommentare.
Das „eingraben“ mutet wirklich seltsam an. Aber ich wünschte mir auch, wir würden richtig eingraben. Bei uns in Hessen darf man bei der Bestattung nur eine Handvoll Sand hinterher werfen. Das finde ich noch viel seltsamer. Ich sage ja neuerdings als Gemeindepfarrerin regelmäßig „Erde zu Erde, Asche zum Asche, Staub zum Staube“ und nicht Sand zum Sand…
Stauden gräbt man auch ein, oder?
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Grüß Gott Lutz, ich freue mich sehr über dieses kleine sprachliche Detail, das du da ausgegraben hast für uns bzw. gut zugehört hast die letzten Jahre. Ich hab deinen Artikel gleich mal einer Münchner Freundin geschickt zum Schmunzeln und sie schreibt: „Der Text ist ja witzig – genau das stimmt aber – meine Mama sagt das auch“.
ich stelle mir grad vor, eingegraben zu werden und assoziere gleich: ich werd mal eingebuddelt … meine Urne in die Erde und fertig. Eingegraben bin ich.
Nu ja.
Merci fürs Profane :-). Einfach herrlich da bei Dir im Bayrischen, mit dem Gustav und dem Schorsch, die’s eingegrab’n ham.
Herzlich. Petra
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nach christlichen glauben heißt dann also, jemanden eingraben, damit er in den himmel kommt, wo immer der sein sollte. die formulierung gefällt mir jedenfalls viel besser, als viele andere. und wenn ich von soldaten höre, sie seien „gefallen“, so ist dies im gegensatz dazu eine ungehörige verdrehung von tatsachen.
lieben gruß, roswitha
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Man könnte auch „vergraben“ sagen, das ist gleichbedeutend mit „eingraben“, lässt aber die Assoziation zum „Schatz“. 🙂
Das Irritierende liegt vielleicht in der Unterscheidung zwischen dem, was es ist, und dem, was es bedeutet.
Das „unter die Erde bringen“ ist ein Eingraben.
Das „unter die Erde bringen“ bedeutet ein Loslassen, ein der Erde anvertrauen, also Beerdigen. Es bedeutet, dem Toten eine Stätte zu geben, also Bestatten.
Anderes Beispiel:
„Ich möchte einmal in den Himmel kommen!“
„Dann buch einen Flug.“
LG Michael
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