„Ihr letztes Hemd soll lila sein“ – über das Sterbefasten

Im „NZZ am Sonntag Magazin“ las ich ganz interessiert Mein letztes Hemd soll lila sein – Frau Pfisters geplanter Abgang. „Sie entschied sich, nichts mehr zu essen und nichts mehr zu trinken, weil sie sterben wollte. Sie wusste, es wird kein Spaziergang. Aber was folgte, war ein Höllentrip“. So lockte mich der Teaser zum Artikel von Sacha Batthyany. Frau Pfister hatte den Autor darum gebeten, sie während ihres Sterbens zu begleiten. „Sie wollte die Deutungshoheit über ihr Ende nicht verlieren, denn sie war es gewohnt, alles zu organisieren und zu kontrollieren“. Ein sehr schöner lesenswerter Artikel!

Ich will hier aber nicht die berührende Geschichte zwischen den beiden erzählen (Link zur Geschichte findet ihr unten) sondern klären, ob das Sterbefasten wirklich die Hölle sein muss. Ich ging davon aus, dass es einfach ist und nicht die Hölle wird. Dass man gut begleitet wird und das Vorhaben einfach und schmerzfrei gelingt.

Der Tag X kam und Frau Pfister konnte ins Pflegeheim umziehen – in ihre „Todeszelle“ wie sie es nannte. Mit dem Bezug ihres Zimmers begann das Fasten. Sie nahm nichts mehr zu sich. Das Schlimmste war der Durst. Und dieses Flehen nach Wasser war auch für den Journalisten das Schlimmste. Allen war verboten, ihr etwas zu trinken anzubieten. Sie forderte, falls sie zu sehr toben würde und ins Delirium fiele, sollte man sie medikamentös ruhig stellen. Ein Glas Wasser musste schlussendlich auf dem Nachttisch stehen, sonst wäre es offiziell als unterlassene Hilfeleistung gewertet worden. Das ist strafbar.

Frau Pfister hatte alles genau organisiert, war eisern und litt. Sie starb nach 21 Tagen! Die Todesursache beim Sterbefasten ist Nierenversagen. Die verbleibenden Harnstoffe im Körper verursachen eine innere Vergiftung, der Kaliumüberschuss führt wohl zum Herzstillstand, schreibt Sacha Batthyany. Frau Pfister war genau darauf vorbereitet, was in ihrem Körper passieren würde.

Der sogenannte Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit wird offiziell abgekürzt mit FVNF (Freiwilliger Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit). Hellhörig wurde ich als ich weiterlas, dass diese Art zu sterben dem Zeitgeist entspricht. Die Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften leitete eine Studie (weiter unten der Link) dazu und kam zu dem Schluss, dass vor allem die Generation der Babyboomer Angst habe vor Abhängigkeiten, chronischen Krankheiten oder Demenz. Ich gehöre zu der Generation dazu, mein Mann auch. Wir sind Organisationstalente und Kontrollfreaks UND leben in einem Land, das weltweit zu den wenigen Ländern gehört, in denen die Beihilfe zum Suizid erlaubt ist. Es sei ein gesellschaftlicher Trend, über den eigenen Tod selbst entscheiden zu wollen. „Viele Menschen würden zu Hause mit dem Sterbefasten beginnen – palliativ betreut. Wenn sie es nicht mehr alleine schaffen, würden sie sich einweisen lassen“.

Bei Wikipedia lese ich einen Eintrag über das FVNF: „Es ist eine humane Form des Sterbens. Sterbefasten beruht auf einer bewussten, freiwilligen Entscheidung“. Das Sterben dauert bis zu 14 Tagen und begleitende Personen versichern, dass das Sterben relativ friedlich verlaufe – „in der Regel nicht leidvoll“. Dass Frau Pfister „so lange“ festhielt am Leben hatte Gründe und wird im Artikel auch erläutert. Da geht es um ihre ganz eigene Geschichte, Haltung als Christin und „einem Geheimnis“, das sie mit ins Grab nahm. Aus persönlichen Gründen kann sich das Sterben also länger hinziehen.

In ihrem lila Totenhemd lag sie im Bett als sich Sacha Batthyany von ihr verabschiedete. Er flüsterte ihr ins Ohr, dass sie ihm gezeigt habe, was Leben ist. Auf dem Gemeinschaftsgrab wachsen lila Wildblumen – als hätte sie es selbst geplant.

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Hier könnt Ihr den Artikel von Sacha Battyany (gegen eine Gebühr) lesen: Mein letztes Hemd soll lila sein.

Der Link zur Studie der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften und zu weiteren Studien

Auf unserer Facebook-Seite informierte ich über den Artikel und bemerkte, dass ich annahm, dass das Sterbefasten „einfach ginge“. Eine Leserin antwortete: „Muss nicht sein mit dem Leiden … Da ich selber Sterbende begleite ist Sterbefasten mit Begleitung und starkem Durchhaltewillen natürlich auch ein Thema. Mit einfühlsamer Begleitung, auch ärztlich muss niemand durch die „Hölle“ gehen. Ich empfehle das Buch STERBEFASTEN – Kaufmann/Trachsel/Walter von Kohlhammer“.

Hier ist das Buch zu finden: Kohlhammer Verlag Sterbefasten … das Buch beschreibt Fallbeispiele, Diskussionen und Erfahrungsberichte der Betreuenden.

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