Im letzten Hemd – zur Ausstellung

a426468db62e6323aa0b975a39757c6c„Ich kann mir Besseres denken, als mir an einem warmen Frühlings-Freitagabend Bilder von Leuten anzuschauen, die wie tot aussehen.“ so ähnlich entschuldigte sich eine Bekannte von Klaus Reichert zur Vernissage der Ausstellung „Im letzten Hemd“ – Fotografien von Thomas Balzer. Die Idee zur Ausstellung stammt von den Geschwistern Hanna und David Roth, Bestattungshaus Pütz-Roth in Bergisch-Gladbach (www.puetz-roth.de).

Nun, ich war da und mit mir gut weitere 50 Leute. Diesmal war ich vorbereitet und habe die Bilder mit großem Vergnügen angeschaut. Als ich vor ein paar Monaten eine Preview der 50 Portraits bei Pütz-Roth in Bergisch-Gladbach sah, war es anders. Da hatte es mich doch sehr angerührt. Die Bilder hingen lebensgroß,  damals fast auf Augenhöhe.

Ist das so, wenn man tot ist?
Das Blauschimmernde und die porennahe Auflösung der Fotografien heben die Motive ins Fantastische und holen sie zugleich ganz nah heran.  Diese Leute in ihren Anzügen, Blaumännern, Karnevalsuniformen, Bananenblättern, Wolldecken, Kuschelbettwäsche, Hochzeitskleidern, mit Torwarthandschuhen, Staffelei, Kaffeetasse, Handy  und – ja – wohl auch nackt – sie liegen da so friedlich, auf der Kippe zwischen hier und dort. Als könnten sie gerade weg sein oder gleich aufstehen.
So ist das mit Toten, wenn sie gerade erst gestorben sind. Man denkt, da hebe sich vielleicht doch noch der Brustkorb oder zittere eine Ader. Die Haare fallen auf die Kissen. Ist es doch nur ein Schlaf?  So etwas sehen wir selten. Ich bin mir also nicht sicher. Die Mitarbeitenden des Bestatters Pütz-Roth, die doch eigentlich täglich mit Toten zu tun haben, waren teilweise sehr berührt, manche brachen in Tränen aus, als sie da ihre Kolleg_innen liegen sahen.

Tot spielen
Dabei haben wir doch nur „tot gespielt“. Petra und ich waren vor einem Jahr beim Fotoshooting dabei. Wir haben uns Kleidung ausgewählt, in der wir derzeit gerne bestattet würden, dazu „Grabbeigaben“. Ich in meinem Kapuzenkleid und dazu die auf die Schnelle noch genähte Sterbedecke, die jetzt in meiner Wohnung herumstört. Ein Bleistift und ein Zeichenbuch als Grabbeigabe. Petra im Hochzeitskleid mit roter Jacke und Schmuck aus HongKong. Auf die Jacke ein paar alte Knöpfe genäht, dazu noch ein Plüschtier von ihrem Liebsten.
Als Petra beim Fotografen da auf dem Sargkissen liegt, zuppele ich hier und da an der Jacke, richte die Haarsträhnen hin und her. Schön soll sie aussehen, meine Freundin. So werd ich das sicher auch machen, wenn ich sie einmal einsargen muss. Und schön sieht sie nun aus!

„Entspann dich“, sagt der Fotograf. Ich liege auf dem kalten Boden. Die Sterbedecke wärmt nicht. Ich versuche alles abfallen zu lassen. Einfach hier zu sein, einen Moment von hier aus auf die Schwelle zu blicken, die wir den Tod nennen. Klick.
Und schon ist es wieder vorbei. Schade eigentlich. Ich hätte diesen Moment gerne noch länger ausgekostet, ein wenig mehr über mein Sterben gesonnen, den Moment, in dem ich nichts mehr von mir erwarten, nichts mehr tun muss, nur noch lassen.

Die Stärke des Moments
Beim erneuten Sehen der Fotos in Frankfurt bin ich überrascht, wie rosig wir auf den Fotografien alle aussehen. Über den Gesichtern eine Morgenröte, die Ahnung eines Lächelns. Die Menschen, die sich dem Gedanken an ihren Tod genähert haben, sind so ganz da. Mit dem, was sie auf den Punkt bringen wollten. Kraftvoll. Männer wie Frauen. Dabei sind die Accesscoires dermaßen alltäglich, ja witzig! Einer hat seine Staffelei im Arm, einer neben Handy und gelbe Klebezetteln seine Tasse Kaffee an der Seite. Ein  verbeulter alter Fußball, ein anderer trägt Torwarthandschuhe zum klassischen Anzug.
Die Bilder beantworten die Frage: „Was ist dir wichtig?“ Und stellen sie den Betrachtenden dieselbe Frage.

Aufwachen und leben
Ursprünglich sollte jedem Foto noch ein  Portrait im Stehen zur Seite gestellt werden. Viel interessanter war aber der Moment, als die Portraitierten die Augen wieder öffneten. Sie sind in DinA 5 zu sehen und ganz wunderbar. Sie zeigen das Spiel. Und das finde ich gut, Klaus Reichert. Der fragt sich nämlich, ob man die Aufwachbilder zeigen sollte, ob sie den Portraits nicht die Kraft nehmen. Ich finde, sie gehören zusammen. Es ist wie in dem Kinderbuch „Die schönsten Beerdigungen der Welt“, in dem ein paar Kinder einen Tag lang intensiv das Sterben, Beerdigen und Trauern durchspielen und – so endet das Buch –  am nächsten Tag spielen sie etwas anderes.
Das ist mir persönlich wichtig hier im Blog und wenn ich mit anderen übers Sterben rede: Wir nähern uns dem Thema Sterben, wir spielen es in Gedanken auf vielerlei Weise durch. Und dann stehen wir auf und leben. Ich tue es intensiver, wacher.

Was wäre dein letztes Hemd?

Hier gibt es noch einen Artikel zur Ausstellung

Artikel mit Fotos und Interview von Hanna Roth bei bento: Selfie im Sarg: Was trägst du bei deiner Beerdigung?

Kunsthalle Ludwig
Königsteiner Straße 61a
65929 Frankfurt
Die Ausstellung ist zu sehen vom:
06.05.-17.05.2016
18.06.-30.07.2016

Besichtigungstermine nach Vereinbarung

GOTENSIEBEN
Gotenstraße 5-7
65929 Frankfurt

kr@medien-consultants.de

Tel: + 49 69 78 99 50-35
Fax: + 49 69 78 99 50-36

Die Veranstalter http://www.gotensieben.de schreiben:
Eine der wesentlichen Lehren für das Leben kann jeder von uns am besten aus der Begegnung mit der Endlichkeit ziehen: Nur in der Limitierung erschließen sich Werte. Das gilt auch für den Wert – und damit am Ende für die Qualität – des Lebens.

Die Kunsthalle Ludwig zeigt zwanzig Arbeiten der Werkgruppe Im Letzten Hemd aus der Sammlung der Privaten Trauerakademie Fritz Roth. Zu sehen sind Fotografien von Menschen, die ihr letztes Hemd gewählt haben. Menschen jeden Alters, aus allen Schichten und Lebenswelten haben sich im Rahmen dieses Fotokunstprojektes auf besondere Art mit der eigenen Sterblichkeit konfrontiert.

Die Ausstellung Im Letzten Hemd setzt einen bildmächtigen Kontrapunkt zu den allgegen-wärtigen ,Selfies’. Und einen Denkanstoß in Sachen Wertschätzung. Für die Teilnehmer selbst und für jeden Betrachter.

 

6 Gedanken zu „Im letzten Hemd – zur Ausstellung

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  6. Die Fotos sind toll geworden. Ich sehe sie zum ersten Mal hier im Blog – mit Genehmigung der Veranstalter natürlich. Annegret, danke, dass Du da warst.

    Dieses Fotoshooting werden wir so schnell nicht vergessen, gell? Danke fürs Zuppeln an den Haaren und Hier und Da.

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