Buchtipp: Falcone von Roberto Saviano

Das Buch „Falcone“ von Roberto Saviano habe ich vor einigen Wochen mit großer Freude und Spannung gelesen. Ich erfuhr nämlich, dass der Autor Saviano nur mit Begleitschutz leben kann so wie Falcone. „Nach wiederholten Morddrohungen von Seiten der Camorra steht Saviano permanent unter Personenschutz und lebt seit vielen Jahren im Untergrund“. Das hat mich zutiefst berührt und gleichzeitig interessiert. Wahrscheinlich hast du das Attentat auf Falcone sofort in Erinnerung, vielleicht auch die Bilder dazu aus den Medien. Ich gebe zu, ich habe mir die Fotos und Berichte erst angeschaut, nachdem ich das Buch gelesen hatte.

Es handelt von Falcones Kampf nicht nur gegen die italienische Mafia sondern auch über seine Enttäuschungen, denn die Machtspieler der Politik verhinderten dass er federführende Positionen nicht besetzen konnte … er hätte dadurch noch besser gegen das internationale Mafia-Netz arbeiten können. Ich habe beim Lesen mit Falcone mitgelitten … er war oft enttäuscht. Francesca, seine Frau, war als Gesprächspartnerin immer an seiner Seite.

Ich las also zunächst über Saviano und sein Leben im Untergrund. Wie Falcone lebt er mit Bodyguards und muss ständig mit einem Attentat rechnen. Das Buch arbeitet die Geschichte und das Gesamtwerk Falcones auf, wie er sich gegen die Machtstrukturen der Mafia einsetzte. Saviano hat akribisch recherchiert. Er muss sämtliche Akten gelesen haben, um solch einen tiefen Einblick in die Strukturen des organisierten Verbrechens zu kennen. Er reihte alle wichtigen Namen der Strippenzieher auf. Ich gebe zu, ich konnte mir die nicht immer alle merken.  Er hat es aber wunderbar verstanden, die Vernetzung deutlich zu machen.

Ich habe mich beim Lesen über schöne Erlebnisse gefreut, von Saviano sehr lebendig und emotional geschrieben. Da werden Treffen mit Falcones Freunden oder seiner Familie vorbereitet, Geburtstagsfeiern während denen gekocht, getrunken und geplaudert wird, beschrieben. Kinder, die lustig mitfeierten, die Waisen wurden.

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Vater & Sohn

Du kannst Dir das nicht vorstellen, wie das ist und auch nicht, wie es gewesen ist. Nicht die Sorgen, nicht die Schmerzen. Die habe auch ich gehabt. Und jetzt habe ich sie immer, andere. Unendliche. Sie werden erst aufhören, wenn ich gegangen sein werde. Jetzt muss ich mir endlich keine Sorgen mehr machen. Jetzt wirst Du es ertragen können.

Du kannst das nicht verstehen. Du kannst nicht wollen, dass ich es verstehe und schon gar nicht, dass ich es ertrage. Wenn Du von Ertragen sprichst, weißt Du, was es für mich bedeuten wird. Doch Du kannst Dir nicht vorstellen, was es noch bedeuten wird. Und genauso wenig kann ich verstehen, was es für Dich bedeutet, dass Du gehen willst.
Würdest Du es nicht auch wollen, wenn Du ich wärst. Warum willst Du es nicht für mich, wenn Du es an meiner Stelle ebenso wollen würdest?

Würde ich das? Vielleicht, wenn es mich nicht gäbe. Aber so kann ich Deinen Egoismus nicht verstehen. So wenig, wie Du meinen verstehst oder jemals verstanden hast. Mein Wille zu leben, ist für Dich schon immer Egoismus gewesen.
Zwei Egoisten. So haben wir doch noch einmal etwas gemeinsam. Lass mich gehen.

Du hast mich auch nie gehen lassen.
Wenn ich jetzt gehe, kann ich Dich nicht mehr davon abhalten zu gehen. Wenn Du Dich bislang nicht frei gefühlt hast, wirst Du es sein können, wenn ich gegangen bin.

Wie soll das gehen? Wie könnte ich vergessen wozu Du mich gemacht hast? Vergessen, dass ich zu jung, zu alt zu klein, zu groß, zu anspruchsvoll, zu wenig ambitioniert, zu naiv, zu gutgläubig, zu voreingenommen, zu immer irgendwas bin, jedenfalls gerade genau das nicht, was hilfreich wäre. Das geht nicht mehr weg. Auch nicht ohne Dich.
Das ist doch nicht meine Schuld.

Doch.
Und wenn ich bleibe?

Ist es immer noch Deine Schuld.
Ich kann mich also nicht exkulpieren. Dann ist es doch egal, ob ich gehe oder bleibe.

Du könntest Dich entschuldigen, bei mir.
Um Verzeihung bitten?

Ja.
Wofür?

All die Verletzungen, all den Schmerz.
Und Du?

Und ich?
Wirst Du mir vergeben?

Vielleicht. Ganz sicher nicht, wenn Du gehst?
Irgendwann werde ich gehen. Das ist unvermeidbar.

Aber jetzt musst Du noch nicht.
Ich halte es nicht mehr aus.

Das hat Dich in meinem Fall nie interessiert.
Hast Du jemals solche Schmerzen gehabt. Jemals das Gefühl, dass Du ersticken wirst. Immer und immer wieder, weil immer noch gerade so viel Luft in Deine Lunge kommt, dass es sich nur so anfühlt und Dein Gehirn die Panik noch erkennt und immer wieder den Notfallplan aktiviert und mit jeder Erfahrung einen Erfolg beim Überleben für immer unwahrscheinlicher hält und extreme Reaktionen auslöst?

Vielleicht nicht physisch. Doch kannst Du Dir vorstellen wie es ist, immer nur genau so viel Freiheit zu bekommen um die Möglichkeit zu haben, zu erkennen wie beengt sie ist und bei jeder Erfahrung zu spüren, dass sie noch enger wird?
Lass uns tauschen.

Was willst Du tauschen?
Schmerzen gegen Freiheit.

Freiheit gegen Schmerzen. Deine unerträglichen Schmerzen für meine Freiheit. Ein mieses Geschäft.

Totenblumen und Friedhofsgemüse

„Die nicht! Das sind Totenblumen!“ Das war ein klassischer Satz meiner Mutter, wenn sie im kleinen Blumenladen an der Bushaltestelle einen Strauß zum Verschenken zusammenstellen ließ. Allen voran hegte sie eine mächtige Abneigung gegen Calla, die, das nur nebenbei, als kleine Wildpflanze sogar in den Sumpflandschaften in Oberbayern zu finden ist.
Das sind Totenblumen! Aber auch weiße Rosen, Chrysanthemen, Anthurien, Nelken. Welche Blumen dazu gehören und welche nicht, hängt natürlich sehr stark von der kulturellen Prägung eines Landes ab. Was hierzulande als Totenblume gilt, kann anderswo eine ganz andere Symbolik haben. Chrysanthemen zum Beispiel symbolisieren in Asien Glück und ein langes Leben. In einigen europäischen Ländern werden sie fast ausschließlich für Beerdigungen genutzt, wie in Frankreich, Belgien oder Spanien.

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Human Humus

„Erde bist du und zur Erde kehrst du zurück“. So steht es seit alten Zeiten in der Bibel und mindestens so lange haben wir Menschen den Wunsch, auf würdevolle Weise in den ewigen Kreislauf des Lebens einzugehen. Mit einer neuen Art der Bestattung, der sogenannte Reerdigung, könnte man diesem Ideal deutlich näher kommen.

Immer mehr Menschen achten heute darauf, im Einklang mit der Natur und nachhaltig zu leben. So soll es dann auch beim Sterben sein. Wie groß unser ökologischer Fußabdruck ist, den wir auf dieser Erde hinterlassen, dafür ist der letzte Gang nicht entscheidend. Aber es gibt durchaus Unterschiede. Eine Bestattung im Sarg in der Erde benötigt viel Platz. Weil der oft lackiert ist und ausstaffiert mit Kunst- und Farbstoffen, entsteht viel Sondermüll. Eine Einäscherung verbraucht Erdgas, verursacht CO2 und weitere Emissionen; außerdem wird ja auch der Sarg mitverbrannt. Da klingt diese Idee als perfekte Lösung: Reerdigung. Vor zehn Jahren wurde in den USA eine gemeinnützige Gesellschaft zur Erprobung dieser Art der Bestattung gegründet, 2020 wurde es dort als Bestattungsform genehmigt. Seitdem verbreitet sie sich weiter. Die erste Reerdigung in Deutschland war 2022.

Was ist eine Reerdigung genau? Etwas flapsig und pietätslos ausgedrückt könnte man sagen: eine Schnellkompostierung. Allerdings ist der Vorgang edler und würdevoller. Die Toten werden aus ihrem Sarg in einen sogenannten Kokon gebettet, das ist ein großer Edelstahltank. Der ist gefüllt mit Stroh, Grünschnitt und anderem organischem Material. Damit wird der Verstorbene auch zugedeckt. Die Angehörigen können auch Lieblingsblumen beigeben oder von den Enkelkindern gemalte Bilder. Es vergeht alles. Denn sobald der Deckel geschlossen wird und die körpereigenen Mikroorganismen und die aus dem Grünschnitt ihre Arbeit aufnehmen, erwärmt sich alles innerhalb des Kokons auf bis zu 70 Grad. Das ist wichtig, damit das Ergebnis auch hygienisch und gesundheitlich unbedenklich ist. Damit sich alles gut verteilt, wird der Kokon regelmäßig gedreht.

Insgesamt dauert es 40 Tage. Dann werden die Überreste entnommen und bestattet, einfach so, ohne Sarg. Es ist zwar nicht direkt duftende Komposterde, die dort herauskommt. Aber durchaus so etwas wie menschlicher Humus. An der Universität Leipzig wurden zwei der bislang 16 reerdigten Menschen, beziehungsweise ihre aus  entnommenen Reste  molekularbiologisch, pharmakologisch und bodenkundlich untersucht; mit dem Ergebnis, dass kein menschliches Weichgewebe mehr festgestellt werden konnte. Damit sei die Transformation zu Humus erreicht, heißt es in der Studie. Verbliebende Knochen und Zähne werden nach der Reerdigung wie nach einer Kremierung auch in einer speziellen Mühle kleingemahlen. In Deutschland besteht Friedhofspflicht, deshalb muss dieser Humus in ein Grab auf einen Friedhof und darf nicht einfach in den Kleingarten.

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Von Plastinaten und Bauernschädeln

Immer wenn der Mediziner und Anatom Gunther von Hagens eine seiner Körperwelten Ausstellungen ankündigt, in denen er plastinierte menschliche Körper zeigt, ist es nicht weit hin bis zur Entrüstung und Empörung. Seit den 90er Jahren wird darüber immer wieder diskutiert, ob die Ausstellung plastinierter Toter einen Akt künstlerischer Freiheit darstellt oder ob dies mit der Menschenwürde oder gar der Störung der Totenruhe unvereinbar sei.
Entsprechend oft wurden Gerichte bemüht, die das juristisch zu klären hatten, wobei die öffentliche Debatte weitaus weniger von juristischen Fragen als von moralischen geprägt war. Angefangen von der Herkunft der Leichen bis zur öffentlichen Zuschaustellung, was bei nicht wenigen Menschen erhebliches Unbehagen auslöst. Denen aber darf man durchaus die Freiheit einräumen, solche Ausstellungen gar nicht erst zu besuchen und sich nicht weiter damit auseinanderzusetzen. Das sollte eigentlich reichen.
Aber wie das mit Entrüstung und Empörung nun mal ist – die betreffenden Personen meinen ja oft, gleich für alle anderen mitbestimmen zu müssen, was gut und richtig ist. Und was eben nicht.
Dass nicht selten die eigentliche Triebfeder dieser Empörungen eine ganz andere ist, hat der Philosoph Philipp Hübl in seinem gleichnamigen Buch Moralspektakel ganz wunderbar beschrieben: Es geht vielleicht gar nicht so sehr um den konkreten Fall. Es geht in erster Linie darum, eine Bühne gefunden zu haben, um sich als ein moralischer (besserer) Mensch zu präsentieren. Warum sollte sonst einer juristisch versuchen, eine solche Ausstellung zu verhindern?
Davon vollkommen ungeachtet liegen überall Tote bzw. deren Überreste herum und werden öffentlich zur Schau gestellt, sogar angebetet, aber das ist natürlich etwas anderes. Das dienst ja nicht dem Voyeurismus sondern der religiösen Kontemplation.
Gemeint sind die Gerippe der Heiligen in den gläsernen Schreinen in dutzenden katholischer Kirchen.

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Unsterblich

Das ich ein Mann bin, kommt nicht häufig vor. Ich war Juan, Jiroemon, Emiliano, Christian und ganz oft eine Frau. Ich weiß nicht nur, wie es sich anfühlt das eine oder andere zu sein, sondern auch wie es ist, ein Supercentenarian zu werden, auch wenn ich dieses Wort jedes Mal wieder zum ersten Mal höre und es mir auch meist nicht für die nächsten zehn bis dreizehn Jahre merken kann. Auch nicht, dass nur ein Promille derer, die älter als einhundert Jahre alt werden, auch älter als einhundertzehn Jahre alt und damit Supercentenarian werden.

Damit ich nicht vergesse, dass es mich überhaupt gibt, bekomme ich eine Urkunde, die das bestätigt, sobald ich es bin. Manchmal kann ich sie nur für einige wenige Tage aufhängen. Doch ich bekomme netten Besuch, der die Urkunde und eine Menge Fotografen mitbringt und mich nach meinem Geheimnis fragt. Dann sage ich jedes Mal etwas anderes und jedes Mal wird daraus eine große Geschichte gemacht. Niemand stellt in Frage, dass meine Aussagen falsch sein könnten, auch wenn sie inkonsistent sind. Ich bin ja der lebende Beweis, immer die Person mit der meisten Lebenserfahrung – und unsterblich.

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Steine der Hoffnung

Steine liegen vor mir. Ich lege einen dazu. Für die einen sind diese Steine Zeichen der Erinnerung, für mich sind sie ein wenig mehr. Es sind auch Steine der Hoffnung.
Doch von Anfang an.

Zu Füßen des Pulverturms der Burghauser Burganlage liegt ein kleiner Friedhof. Ich bin nach Burghausen gefahren, um mir im dortigen Haus der Fotografie die Ausstellung Bittersweet des Münchner Fotografen Christopher Thomas anzusehen. Ich erwarte wunderbare Bilder (werde auch nicht enttäuscht) und möchte den kühlen, wolkenverhangen Tag auch noch für die eine oder andere Erkundung der Stadt nutzen.

Auf dem Weg vom Parkplatz zum Pulverturm und weiter zum Wöhrsee passiere ich diesen kleinen Friedhof der südlich einer mit Löwenzahn und Hahnenfuß bewachsenen Wiese auf der Hochebene über dem Wöhrsee liegt.

In meinem Blog habe ich über diesen einerseits so unscheinbaren, andererseits so besonderen Friedhof einen Beitrag geschrieben. Um simultane Doppelveröffentlichungen zu vermeiden, verlinke ich ihn hier.

Zum Lesen bitte hier klicken.

Natur, Kunst und Achtsamkeit

Lucia Pec ist Landartkünstlerin und wir sind über Instagram befreundet. Dort heißt sie @my.creative.nature. Sie hat ein Kartenset gestaltet, jede Karte trägt ein wundervoll gestaltetes Naturkunstwerk als Motiv, dazu einige spirituelle Worte.

Sie hat mir eines dieser Sets geschenkt und ich stelle es euch hier vor. Ich selbst bin eher wenig spirituell, meine naturwissenschaftliche Seite ist stärker. Auf dem Friedhof ist es anders, die Atmosphäre dort macht empfänglicher für alles, was zwischen Himmel und Erde passiert.

Ich habe mir Karten ausgewählt, die mich spontan besonders angesprochen haben und mir passende Orte dazu gesucht und einige wunderschöne Stunden verbracht.

Zu den Karten gibt es ein Begleitheft, in dem Lucia ihre Gedanken zu jeder Karte aufgeschrieben hat, dazu gibt es achtsame und auch kreative Übungen, um sich dem Thema noch mehr zu nähern.

Lucia Pec: Lebe deine wahre Natur, 22,30 €, Allegria-Verlag

Träumt sie oder trauert sie?

Träumt sie oder trauert sie?
Man weiß es nicht.
Stände die Skulptur von Ignaz Ingerl (ca. 1751 – 1801) auf einem Friedhof, dann wäre die Antwort klar. Aber sie steht im Rokoko-Garten des Schätzler Palais in Augsburg.
Links und rechts stehen weitere Skulpturen angeordnet, stark verwitterte Sandsteinfiguren von Johann Michael Haff. Der Zahn der Zeit hat diesen arg zugesetzt.
Aus diesem Ensemble sticht die Trauernde (oder ist es eigentlich die Träumende?) hervor. Im Netz finde ich sowohl den einen wie den anderen Namen der Plastik.
Von Bildhauer Ignaz Ingerl ist nicht viel in Erfahrung zu bringen, viele Denkmäler von ihm sind nicht erhalten geblieben. Aber er war, so viel ist bekannt, auch Gestalter von Grabdenkmälern, gut möglich, dass es also doch eine Trauernde ist. Es fällt nicht schwer, sich diese Figur auf einem Grab vorzustellen.
Andererseits: Einst stand die Plastik im Freundschaftstempel des Augsburger Bankiers Christian III. von Münch im Garten des Schlosses Aystetten. Der Tempel wurde 1965 abgerissen, die Skulptur umplatziert in den Rokokogarten. Also doch eher eine Träumende?

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Zweite Blüte auf dem Friedhof

Hannah und Malte haben vor einigen Jahren die Initiative „Zweite Blüte Bonn“ gegründet. Ihr Ziel: Aussortierte Grabpflanzen zu retten und ihnen ein zweites Leben zu schenken. Hier erzählen sie, warum und wie sie das machen.

Totenhemdblog: Wie seid ihr auf die Idee gekommen, Friedhofspflanzen zu „containern“– und ist das nicht eigentlich verboten?

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